Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 123
Vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind ferner bestimmte Sondererbfolgen (Art. 30 ErbVO), die die Rechtsnachfolge von Todes wegen bezogen auf einzelne Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren. Solche Regelungen finden Anwendung, auch wenn das Erbstatut der ErbVO im Übrigen ein anderes Recht zur Regelung der Rechtsnachfolge von Todes wegen beruft. Art. 30 letzter Hs. ErbVO stellt dabei klar, dass die Anwendung der Sondererbfolge davon abhängt, ob sie nach dem Ortsrecht unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind.
Rz. 124
Aus deutscher Sicht geht es hierbei um das landwirtschaftliche Höfe- oder Anerbenrecht. Dies stellt auch nach deutschem Rechtsverständnis einen gesetzlich geregelten Spezialfall der Sonderrechtsnachfolge dar, die sich gegenüber dem an sich geltenden Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge durchsetzt. Anliegen und Ziel ist die Erhaltung des Hofes als wirtschaftliche Einheit bei der Erbfolge und damit die Erhaltung leistungsfähiger Höfe zugunsten einer funktionsfähigen Landwirtschaft.
Rz. 125
Zu diesem Zweck wird der Hof nicht nach BGB vererbt, der Hof fällt vielmehr nur an einen Hoferben, während die übrigen Miterben (nach BGB), die nicht Hoferben geworden sind, nur einen (geringfügigen) Abfindungsanspruch erhalten. Das landwirtschaftliche Erbrecht ist in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet, in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gilt die Höfeordnung.
Rz. 126
Aus Erwägensgrund 54 ergibt sich, dass derartige Ausnahmen von der Anwendung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht eng auszulegen sind. Insbesondere dürfen deshalb – so ausdrücklich S. 2 des Erwägensgrundes 54 – die Kollisionsnormen des Rechtes am Ort der Belegenheit der Sache nicht als besondere Regelungen im Sinne des Art. 30 ErbVO angesehen werden, sondern ausschließlich die dort vorherrschenden Sachnormen.
Rz. 127
Damit wird der Anwendungsbereich von Art. 30 ErbVO in der Praxis unbedeutend ausfallen; nennenswerte Einschränkungen des Erbstatuts, die durch besondere Vorschriften des lokalen Sachrechts (im Unterschied zum Kollisionsrecht) hervorgerufen werden, sind selten, es wird also in diesem Bereich kaum zu einer Nachlassspaltung kommen. Auch nach derzeitiger Rechtslage hat eine lokale Sondererbfolge Vorrang vor dem Erbstatut; die im geltenden Recht häufig anzutreffende Figur der Nachlassspaltung fußt aber nur in den seltensten Fällen auf einer vorrangigen Vorschrift des Sachrechts, sondern vielmehr regelmäßig auf einer solchen des Kollisionsrechts. Da eine kollisionsrechtliche Regelung nach der ErbVO keine vorrangige Sonderregel zu begründen vermag, wird die Häufigkeit der Fälle, in denen es zur Nachlassspaltung kommt, drastisch reduziert. Dass die Verordnung den Vorrang besonderer Regeln aus dem Sachrecht weiterhin zulässt, schränkt also das Erbstatut nach der ErbVO nur in ganz unbedeutender Weise ein.