Rz. 53
Bei dem Abschluss einer Vergütungsvereinbarung stellt sich auch die Frage, ob diese den Makel der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB in sich trägt. Entsprechend kann sich die Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung – aus den besonderen Umständen des Zustandekommens der Vereinbarung oder – aus dem Inhalt der Vereinbarung ergeben.
aa) Sittenwidrigkeit nach den besonderen Umständen des Zustandekommens der Vergütungsvereinbarung
Rz. 54
Eine Vergütungsvereinbarung ist nach den Umständen des Zustandekommens in den Fällen nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, in denen der Rechtsanwalt eine Zwangslage für den Mandanten geschaffen oder ausgenutzt hat. Als Zwangslage kann die Verhaftung des Mandanten an das Mandat angesehen werden. Eine solche Verhaftung kann vorliegen, wenn die Vergütungsvereinbarung unter der Androhung zustande kommt, dass der Rechtsanwalt bei fehlender Unterzeichnung das Mandat niederlegt und das Gericht im Verfahren diese Mandatsniederlegung zulasten des Mandanten wertet.
Von der Androhung muss die Privatautonomie des Rechtsanwalts abgegrenzt werden, wonach es ihm frei steht, ob er ein Mandat bei fehlender Unterzeichnung einer Vergütungsvereinbarung annimmt oder später niederlegt, soweit für den Mandanten dadurch keine Zwangslage entsteht. Im Einzelfall kann sich für den Mandanten aber ein Anfechtungsrecht wegen einer widerrechtlichen Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB und ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens beim Vertragsschluss ergeben.
Rz. 55
Die Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung führt nicht zur Nichtigkeit des gesamten Anwaltsvertrags. Die Nichtigkeit beschränkt sich nur auf die Vergütungsvereinbarung, wodurch dem Rechtsanwalt über den § 612 Abs. 2 BGB anstatt der vereinbarten Vergütung zumindest noch die gesetzlichen Gebühren zustehen. Diesem Anspruch kann aber der Einwand von Treu und Glauben nach § 242 BGB entgegenstehen mit der Folge, dass der Rechtsanwalt bloß seine Aufwendungen nach §§ 675, 667 BGB ersetzt verlangen kann.
Zitat
"Der Kläger verstößt in dieser Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er unter Berufung auf das anwaltliche Gebührenrecht nachträglich Gebühren geltend macht, auf die er ursprünglich unter Verstoß gegen eben dieses Gebührenrecht verzichtet hat. Bei dem Abschluss der Anwaltsverträge und der damit verbundenen Vereinbarungen war es allein Sache des Klägers, auf die Einhaltung des anwaltlichen Gebühren- und Standesrechts zu achten. (…). Die Nichtigkeit der Gebührenabrede berührt nicht die Verpflichtung des Klägers, alles, was er aus der Geschäftsbesorgung für den Beklagten erlangt hat, an diesen nach §§ 675, 667 BGB herauszugeben."
bb) Sittenwidrigkeit nach dem Inhalt der Vergütungsvereinbarung
Rz. 56
Der Inhalt der Vergütungsvereinbarung führt zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB, sofern ein auffälliges Missverhältnis zwischen der versprochenen Leistung des Rechtsanwalts einerseits und der vereinbarten Vergütung andererseits vorliegt und zusätzliche subjektive, die Sittenwidrigkeit begründende Merkmale beispielsweise einer Notlage oder einer Unterlegenheit des Mandanten hinzutreten. Die zur Sittenwidrigkeit eines Austauschvertrags entwickelten allgemeinen Grundsätze zum auffälligen Missverhältnis, wonach ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, wenn die vereinbarte Vergütung den Wert der zur erbringenden Gegenleistung um mehr als 100 % übersteigt, sind bei der Vergütungsvereinbarung nicht anwendbar.
Eine Sittenwidrigkeit kommt daher nur bei einem objektiv krassen Missverhältnis zwischen dem Wert der anwaltlichen Dienstleistung und der dafür vereinbarten Vergütung und einem subjektiven Ausnutzen der Unerfahrenheit oder Zwangslage des Mandanten durch den Rechtsanwalt in Betracht.
Rz. 57
Wann die Grenze des auffälligen Missverhältnisses zwischen anwaltlicher Dienstleistung und der vereinbarten Vergütung überschritten wurde, kann pauschal nicht beantwortet werden. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Im Rahmen dieser Prüfung muss die Herabsetzungsmöglichkeit einer überhöhten vereinbarten Vergütung nach § 3a Abs. 2 RVG berücksichtigt werden, wodurch die Grenze zur Sittenwidrigkeit wesentlich höher anzusetzen ist als bei sonstigen zivilrechtlichen Fallgestaltungen.
Rz. 58
Der Bundesgerichtshof hat die Anforderungen, die an ein auffälliges Missverhältnis zu stellen sind, in einer Entscheidung aus dem Jahre 2016 lehrbuchartig zusammengefasst:
Zitat
Für die Frage, ob ein Missverhältnis besteht, kommt es zunächst auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Entscheidend ist der Marktwert, also der marktübliche Preis. Die Darlegungs- und Beweislast trägt die Partei, die sich auf Sittenwidrigkeit beruft.
(...)
D...