Rz. 56
Der Inhalt der Vergütungsvereinbarung führt zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB, sofern ein auffälliges Missverhältnis zwischen der versprochenen Leistung des Rechtsanwalts einerseits und der vereinbarten Vergütung andererseits vorliegt und zusätzliche subjektive, die Sittenwidrigkeit begründende Merkmale beispielsweise einer Notlage oder einer Unterlegenheit des Mandanten hinzutreten. Die zur Sittenwidrigkeit eines Austauschvertrags entwickelten allgemeinen Grundsätze zum auffälligen Missverhältnis, wonach ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, wenn die vereinbarte Vergütung den Wert der zur erbringenden Gegenleistung um mehr als 100 % übersteigt, sind bei der Vergütungsvereinbarung nicht anwendbar.
Eine Sittenwidrigkeit kommt daher nur bei einem objektiv krassen Missverhältnis zwischen dem Wert der anwaltlichen Dienstleistung und der dafür vereinbarten Vergütung und einem subjektiven Ausnutzen der Unerfahrenheit oder Zwangslage des Mandanten durch den Rechtsanwalt in Betracht.
Rz. 57
Wann die Grenze des auffälligen Missverhältnisses zwischen anwaltlicher Dienstleistung und der vereinbarten Vergütung überschritten wurde, kann pauschal nicht beantwortet werden. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Im Rahmen dieser Prüfung muss die Herabsetzungsmöglichkeit einer überhöhten vereinbarten Vergütung nach § 3a Abs. 2 RVG berücksichtigt werden, wodurch die Grenze zur Sittenwidrigkeit wesentlich höher anzusetzen ist als bei sonstigen zivilrechtlichen Fallgestaltungen.
Rz. 58
Der Bundesgerichtshof hat die Anforderungen, die an ein auffälliges Missverhältnis zu stellen sind, in einer Entscheidung aus dem Jahre 2016 lehrbuchartig zusammengefasst:
Zitat
Für die Frage, ob ein Missverhältnis besteht, kommt es zunächst auf einen Vergleich zwischen dem objektiven Wert der beiderseitigen Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Entscheidend ist der Marktwert, also der marktübliche Preis. Die Darlegungs- und Beweislast trägt die Partei, die sich auf Sittenwidrigkeit beruft.
(...)
Diese Maßstäbe gelten nach gefestigter Rechtsprechung des Senats auch für ein mit einem Anwalt vereinbartes Pauschalhonorar in einem Zivilrechtsstreit. Daher muss der Mandant, der ein sittenwidrig überhöhtes Entgelt behauptet, zu dem Preis vortragen, welcher der vom Anwalt versprochenen Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt. Die gesetzlichen Gebühren allein sind vielfach keine ausreichende Vergleichsgrundlage für ein den Schluss auf eine Sittenwidrigkeit ermöglichendes Missverhältnis, weil sie nicht in allen Fällen die marktangemessene, adäquate Vergütung für die aufgrund eines konkreten Mandats geschuldete Leistung des Anwalts abbilden sollen, sondern auf einer anderen Grundlage festgesetzt werden. Deshalb genügt für sich genommen auch das mehrfache Überschreiten der gesetzlichen Gebühren nicht, um den Schluss auf ein auffälliges oder gar besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB ziehen zu können.
Anders ist dies nur dann, wenn aufgrund der Höhe der gesetzlichen Gebühren im Allgemeinen davon ausgegangen werden muss, dass sie auch den erforderlichen Aufwand angemessen vergüten.
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage, ob ein für Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, stets der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, zu berücksichtigen. Eine aufwandsangemessene Vergütung verletzt die guten Sitten nicht. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, angemessen sein. Dies gilt erst recht, wenn – wie im Streitfall – sich die Höhe der Gebühren nach einem Gegenstandswert richtet, der unabhängig von der Schwierigkeit der Sache und dem erforderlichen Aufwand ist, weil das Gesetz einen Fest- oder Regelbetrag vorsieht. Umgekehrt kann bei hohen Streitwerten unter Umständen schon aus der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren auf ein auffälliges oder besonders grobes Missverhältnis geschlossen werden, wenn die Tätigkeit bereits durch die gesetzlichen Gebühren angemessen abgegolten wäre.
Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig und daher nichtig, und sich hierzu auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss also nicht nur dartun, dass die vereinbarte Vergütung die gesetzlichen Gebühren überschreitet, sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. (...)
Rz. 59
Im Hinblick auf die Bestimmung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB können der Rechtsprechung folgende Leitlinien entnommen werden:
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Für das Vorliegen eines sittenwidrigen Missverh... |