Rz. 74
Schließlich bleibt festzuhalten, dass sich eine pauschale Bestimmung der Angemessenheit verbietet. Vielmehr muss eine individuelle Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls erfolgen, welche anhand der Art der Vergütungsvereinbarung, der Kriterien von § 14 RVG sowie unter Umständen auch nach Billigkeitsgesichtspunkten aus § 242 BGB bestimmt werden kann.
Rz. 75
Dabei bleibt zu beachten, dass insbesondere der Bundesgerichtshof die erforderliche Transparenz zwischen der Angemessenheit im vergütungsrechtlichen Sinne und der Sittenwidrigkeit der Vergütung im zivilrechtlichen Sinne nicht erkennen lässt. Sowohl für die Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses im Sinne von § 138 BGB als auch für die Bestimmung der Angemessenheit im Sinne von § 3a Abs. 2 RVG können die oben genannten Kriterien angewendet werden. Wann die Schwelle zur Sittenwidrigkeit oder die Schwelle zur Unangemessenheit überschritten wird, kann nicht abschließend beantwortet werden. Fest steht nur, dass für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit bzw. der Angemessenheit unterschiedliche Zeitpunkte maßgeblich sind. Für die Prüfung der Sittenwidrigkeit muss auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt werden, während die Angemessenheitsgrenze anhand der Betrachtung nach Abschluss des Mandates zu bestimmen ist.
Rz. 76
Es stellt sich die Frage, ob die aufgezeigte Rechtsprechung auch auf die erbrechtliche Vergütungsvereinbarung übertragen werden kann. Im Strafrecht ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts durch seine besonderen Pflichten als Organ der Rechtspflege gekennzeichnet. Insbesondere die Verhinderung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs im Interesse des Rechtsgüterschutzes des Einzelnen, ist mit erheblichen Belastungen und weitreichenden Folgen für den Betroffenen verbunden. Auch der strafrechtliche Mandant ist schutzwürdiger, da es gegenüber anderen Rechtsgebieten keinen vergleichbaren Preiswettbewerb geben wird. So führt das BVerfG aus:
Zitat
"Gerade in Strafverfahren ist es unwahrscheinlich, dass Mandanten vor der Beauftragung eines bestimmten Rechtsanwalts weitere Angebote einholen und damit die Grundlage für einen Preiswettbewerb schaffen."
Rz. 77
Bei erbrechtlichen Fragestellungen hat der potentielle Mandant hingegen die Möglichkeit verschiedene Angebote einzuholen, wodurch das Risiko einer Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Vergütung seltener vorliegen wird. Daneben kann die Quotientenrechtsprechung im Erbrecht bei Beratungsmandanten gar nicht erst zur Anwendung gelangen. Durch die Reformierung von § 34 RVG muss der Rechtsanwalt bei einer beratenden Tätigkeit auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, wodurch sich ein Vergleichsmaßstab mit den gesetzlichen Gebühren erübrigt. Für den Rechtsanwender bleibt daher das unbefriedigende Ergebnis bestehen, dass eine Angemessenheitsprüfung als auch die Sittenwidrigkeitsprüfung vom Einzelfall abhängt.
Rz. 78
Hinweis
Trotz der erhobenen Zweifel bietet sich das folgende Schema zur Prüfung der Angemessenheit einer Vergütungsvereinbarung an.
1. |
Im Ausgangspunkt ist die Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um einen bestimmten Faktor zur Bestimmung der Unangemessenheit der Vergütung nicht in jedem Fall ungeeignet, darf aber nicht als alleiniger Maßstab herangezogen werden. Daher sollte zunächst die Frage gestellt werden, ob das vereinbarte Honorar die gesetzliche Vergütung um mehr als das Fünffache übersteigt. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, ob der anwaltliche Aufwand die vereinbarte Vergütung rechtfertigt und die Vermutung der Unangemessenheit widerlegt werden kann. |
2. |
Wurde in der vereinbarten Vergütung ein Stundensatz vereinbart?
a) |
Wenn kein Stundensatz, sondern eine Pauschale vereinbart wurde, kann die Angemessenheit durch eine Gegenkontrollrechnung überprüft werden. Insoweit kann zur Kontrolle ein angemessener Stundensatz, der je nach Kenntnis des Anwaltes zwischen 200 und 500 EUR liegt, der vereinbarten Pauschale gegenübergestellt werden. Sollte der angemessene Stundensatz multipliziert mit dem Stundenaufwand zu einem vergleichbaren Ergebnis wie die vereinbarte Pauschale kommen, ist diese angemessen. Im Einzelfall können zur Beurteilung der Angemessenheit die Kriterien von § 14 RVG herangezogen werden. |
b) |
Wenn hingegen ein Stundensatz vereinbart wurde, stellt sich die Frage, ob der Stundensatz angemessen ist. Der Stundensatz kann je nach besonderen Fachkenntnissen des Anwaltes zwischen 200 und 500 EUR liegen. Im Weiteren muss sodann nach der Angemessenheit des vom Anwalt getätigten Aufwands gefragt werden. |
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3. |
Für die Frage der Angemessenheit des Aufwands des Anwalts muss der Stundenaufwand mit dem angemessenen Stundensatz multipliziert werden. Den Anwalt trifft die Dokumentationspflicht, daher muss er seinen Aufwand substantiiert darlegen. Insoweit muss er angeben:
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welche Akten und Schriftstücke einer Durchsicht unterzogen wurden, |
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welcher Schriftsatz vorbereitet oder verfasst wurde oder |
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zu welcher Rechts- oder Tatfrage eine Literaturrech... | |