Rz. 54
Nichtige Beschlüsse sind auch ohne gerichtliche Entscheidung unwirksam. Das ist selbstverständlich, weil ein nichtiges Rechtsgeschäft die gewollten Rechtswirkungen von Anfang an nicht eintreten lässt. Die Nichtigkeit wirkt für und gegen alle, bedarf keiner Geltendmachung und ist im gerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu berücksichtigen. Jeder Miteigentümer hat ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung (Nichtigerklärung), um den durch den Beschluss in die Welt gesetzten Rechtsschein zu beseitigen. Fristen bestehen hierfür nicht; Nichtigkeitsgründe können unbefristet geltend gemacht werden. Die Nichtigkeitsklage gem. § 44 Abs. 1 S. 1 WEG ist für Wohnungseigentümer nach dem Ablauf der Anfechtungsfrist die einzige Möglichkeit, einen Beschluss anzugreifen. Vor dem Ablauf der Anfechtungsfrist empfiehlt sich – auch zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen – die Erhebung einer Anfechtungsklage (dazu sogleich näher).
Rz. 55
Muster 2.4: Antrag der Nichtigkeitsklage
Muster 2.4: Antrag der Nichtigkeitsklage
Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 6.5.2022 zu TOP 3 (Gestattung des Einbaus eines Fensters in Wohnung Nr. 8) nichtig ist.
Rz. 56
Ob Beschlussmängel zur Nichtigkeit oder nur zur Anfechtbarkeit führen, kann vielfach zweifelhaft sein. Wenn ein Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist angegriffen wird, steht ein Kläger deshalb vor der Frage, ob er Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erheben oder beides miteinander kombinieren soll. Die Antwort lautet: Er sollte nur Anfechtungsklage erheben. Denn trotz der unterschiedlichen Klagearten ist der Streitgegenstand einer auf denselben Beschlussfehler gestützten Klage derselbe. Auch die Anfechtungsklage verfolgt das Ziel, unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt eine verbindliche Klärung der Gültigkeit des angefochtenen Eigentümerbeschlusses herbeizuführen; der Anfechtungsantrag schließt den Feststellungsantrag ein (und umgekehrt). Hilfsanträge“ auf Feststellung der Nichtigkeit sind entbehrlich. Ein fristgerecht angefochtener Beschluss ist sowohl dann aufzuheben, wenn Anfechtungsgründe vorliegen, als auch dann, wenn Nichtigkeitsgründe vorliegen. Es kann sogar offenbleiben, ob der Beschluss nichtig oder "nur" rechtswidrig ist. Zwar ist das Gericht nicht gehindert, den angefochtenen Beschluss im Urteil für nichtig zu erklären; nötig ist das aber nicht. Antrag und Urteilstenor können vielmehr stets lauten: "Der Beschluss wird für ungültig erklärt". Das Gericht hat auch die Nichtigkeitsgründe aber nur auf entsprechende Rüge hin zu prüfen; es darf nicht von sich aus Tatsachen berücksichtigen, die der Kläger – wenn auch nur versehentlich – nicht vorgetragen hat. Wird eine Anfechtungsklage hingegen rechtskräftig als unbegründet abgewiesen, steht fest, dass der betreffende Beschluss gültig ist und auch keine Nichtigkeitsgründe vorliegen.
Rz. 57
Wenn mehrere Beschlussmängel (seien es Anfechtungs-, seien es Nichtigkeitsgründe) geltend gemacht werden, handelt es sich nach neuem Recht trotz des gleichlautenden Klageantrags um verschiedene Streitgegenstände. Dieser Befund ändert an dem vorstehend dargestellten Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nichts. Ob deswegen aber jeder Beschlussmangel gesondert im Urteil beschieden und mit einem je eigenen Streitwert bewertet werden muss, ist eine derzeit offene Frage. In der gerichtlichen Praxis hat diese Überlegung (bislang) keinen Niederschlag gefunden.