Rz. 99
Gem. § 23 Abs. 1 WEG können auch solche Angelegenheiten durch Beschluss "geordnet" werden, über die "nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können". Eine derartige kompetenzbegründende Vereinbarung wird Öffnungsklausel genannt. Sie ermöglicht die Änderung der Gemeinschaftsordnung (oder anderer Vereinbarungen) durch (Mehrheits-)Beschluss. Die Zustimmung der dinglichen Gläubiger ist gem. § 5 Abs. 4 S. 2 WEG nicht bzw. nur dann erforderlich, wenn Sondernutzungsrechte begründet, aufgehoben, geändert oder übertragen werden sollen. Gegenüber Rechtsnachfolgern entfalten Änderungsbeschlüsse (ebenso wie Änderungsvereinbarungen) gem. § 10 Abs. 3 S. 1 WEG nur Wirkung, wenn sie in das Grundbuch eingetragen sind. Der materielle Teil der Teilungserklärung (das sachenrechtliche Grundverhältnis) kann durch Beschluss nicht geändert werden (→ § 2 Rdn 114). Seit der BGH die Möglichkeit zur Änderung der Gemeinschaftsordnung durch "Zitterbeschluss" abgeschafft hat (→ § 2 Rdn 3), sind Öffnungsklauseln in den Gemeinschaftsordnungen neu begründeter Gemeinschaften Standard. Eine sachliche Begrenzung auf bestimmte Gegenstände ist möglich, aber nicht zwingend. Ob und welche Mehrheitserfordernisse die Öffnungsklausel für die Beschlussfassung aufstellt, ist ebenfalls "Geschmacksfrage". Wenn nichts anderes bestimmt wird, bezieht sich eine von der Öffnungsklausel geforderte Mehrheit auf alle Eigentümer, nicht nur auf die in der Versammlung anwesenden.
Rz. 100
Beispiele für Öffnungsklauseln in Gemeinschaftsordnungen
a) Allgemeine Öffnungsklausel: "Soweit zwingende gesetzliche Vorschriften nicht entgegenstehen, können die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander abweichend von den Bestimmungen dieser Gemeinschaftsordnung und von den gesetzlichen Vorschriften durch Beschluss mit 3/4-Mehrheit regeln."
b) Sachlich begrenzte Öffnungsklausel: "Eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels kann mit 3/4-Mehrheit beschlossen werden." – Anmerkung: Eine solche Klausel hat vor dem Hintergrund der im Zuge der WEG-Reform 2020 eingeführten Möglichkeit zur Änderung von Kostenverteilungsschlüsseln mit einfachem Mehrheitsbeschluss gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG keine praktische Bedeutung mehr; das neue Recht geht vor (→ § 7 Rdn 55).
Rz. 101
Der Änderungsbeschluss muss (selbstverständlich) ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Dabei hat die Gemeinschaft einen weiten Gestaltungsspielraum. Gerichtlich überprüft werden kann grundsätzlich nur, ob das "Ob" und das "Wie" der Änderung willkürlich erfolgte. Auch ist es nicht erforderlich, dass ein besonderer Anlass ("sachlicher Grund") für die Beschlussfassung vorlag. Leistungspflichten können durch Beschluss nicht begründet werden (→ § 2 Rdn 13). Ein solches Belastungsverbot gilt auch für "vereinbarungsersetzende" Beschlüsse auf Basis einer Öffnungsklausel (→ § 8 Rdn 50). Eine rückwirkende Änderung ist nicht uneingeschränkt rechtmäßig; insoweit gilt hier das Gleiche wie bei der Änderung des Umlageschlüssels gem. § 16 Abs. 3 WEG (→ § 8 Rdn 52). Im Übrigen gelten für den Änderungsbeschluss inhaltlich dieselben Grenzen wie für eine Vereinbarung (→ § 2 Rdn 82). Demnach sind insbesondere Eingriffe in den Kernbereich des Sondereigentums (unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte) nicht möglich.
Rz. 102
Beispiel:
Auf Grundlage einer Öffnungsklausel wird beschlossen, dass die kurzfristige Vermietung von Wohnungen unzulässig ist. – Der Beschluss greift in den Kernbereich des Sondereigentums ein und ist deshalb nichtig.
Rz. 103
Entspricht der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, ist er anfechtbar, aber nicht nichtig (str.). Gleiches gilt, wenn ein Beschluss verkündet wird, obwohl etwaige nach der Öffnungsklausel erforderliche Anforderungen (z.B. das Vorliegen eines sachlichen Grundes oder eines bestimmten Quorums bei der Abstimmung), nicht erreicht wurden: Wird ein solcher Beschluss mangels Anfechtung bestandskräftig, ändert er die Gemeinschaftsordnung wirksam ab (str.).
Rz. 104
Eine Änderung der Gemeinschaftsordnung soll normalerweise für immer gelten und deshalb auch nach einem Eigentümerwechsel künftige Wohnungseigentümer binden. Diese Wirkung tritt, wie bereits erwähnt, gem. § 10 Abs. 3 S. 1 WEG aber nur bei Grundbucheintragung ein. Man wird den Verwalter deshalb auch ohne dahingehende ausdrückliche Beauftragung für verpflichtet ansehen müssen, für die Eintragung vereinbarungsändernder Beschlüsse (also solcher, die auf Basis einer Öffnungsklausel gefasst wurden) im Grundbuch zu sorgen. Das Gesetz hält dafür in § 5 Abs. 4 WEG wichtige formale Erleichterungen parat. Antragsberechtigt ist die Gemeinschaft; und weil diese vom Verwalter vertreten wird, kann der Verwalter den Antrag auf Grundbucheintragung im Namen der Gemeinschaft stellen. Einzelne Eintragungsbewilligungen der Wohnungseigentümer sind nicht erforderlich, wenn die Beschlussfassung durch Vorlage des Protokolls mit den öffentlich beglaubigten Untersch...