Rz. 104

Die Voraussetzung der Testierfähigkeit ist in § 2229 BGB geregelt. Ein Testament kann demnach grundsätzlich errichten, wer das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat und nicht wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder einer Bewusstseinsstörung verhindert ist, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen, § 2229 Abs. 4 BGB. Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist der Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen, selbst wenn eine Betreuung bestand.[109] Maßgeblicher Zeitpunkt für die Testierfähigkeit ist der Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen. Der nachträgliche Verlust der Testierfähigkeit ändert ebenso wenig etwas an der Gültigkeit wie die Errichtung bei wechselnden Geisteszuständen des Erblassers in einem lichten Moment.

 

Rz. 105

Testierfähigkeit erfordert, dass der Testierende in der Lage ist, sich ein klares Urteil über die Tragweite seiner Anordnungen zu bilden, insbesondere über deren Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen sittliche Berechtigungen sprechen und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger Dritter zu handeln.[110] Testierunfähigkeit besteht dann, wenn die Erwägungen des Testierenden und seine Willensentschlüsse durch die krankhaften Vorstellungen oder Empfindungen derart beeinflusst sind, dass sie davon beherrscht werden. Ist das Testament dagegen von diesen nicht beeinflusst, stehen diese der Gültigkeit nicht entgegen.[111] Nicht jede geistige Erkrankung oder Geistesschwäche des Testierenden führt zu seiner Testierunfähigkeit. Maßgeblich ist, ob er noch in der Lage ist, sich über die Tragweite seiner Anordnungen ein klares Urteil zu bilden und dann frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln. Dabei kann der Testierende kraft eigenen Entschlusses durchaus Anregungen eines Dritten aufnehmen.[112] Die Testierunfähigkeit muss zur vollen Gewissheit des Gerichts feststehen. Bestehende Zweifel an der Testierfähigkeit sind regelmäßig durch Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären.[113] Dabei hat der Sachverständig eine geistige Erkrankung des Erblassers nicht nur festzustellen, sondern vor allem deren Auswirkung auf Einsicht- und Willensbildungsfähigkeit abzuklären.[114]

Leidet der Testierende an Altersdemenz mittleren Grades mit zeitweiligen, aber vorübergehenden Wahnvorstellungen, Wahrnehmung nicht vorhandener Personen, Nichterkennen der vertrauten Umgebung und Phasen der Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit, kann während dieses Zustands nicht wirksam testiert werden. Jedoch kann daraus nicht schematisch auf eine Testierunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt geschlossen werden.[115]

 

Hinweis

Zum Zwecke der Beweissicherung in Zweifelsfällen empfiehlt es sich, ein Gutachten des behandelnden Hausarztes, besser aber eines Neurologen einzuholen, das eine Testierfähigkeit bestätigt.

 

Rz. 106

Um einen Erbvertrag wirksam abschließen bzw. privatschriftlich testieren zu können, muss darüber hinaus unbeschränkte Geschäftsfähigkeit vorliegen, das achtzehnte Lebensjahr also vollendet sein, §§ 2233 Abs. 1, 2275 Abs. 2 BGB.

[109] OLG Frankfurt am Main FamRZ 1996, 635.
[110] BGH NJW 1959, 1822.
[111] BayObLG FamRZ 2002, 1066; FamRZ 2006, 68.
[112] BayObLG FamRZ 1990, 318.
[113] Palandt/Weidlich, § 2229 Rn 12.
[115] OLG Thüringen FamRZ 2005, 2021; vgl. auch Palandt/Weidlich, § 2229 Rn 9.

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