Rz. 148
Die bisherige Verweisung in § 55 Abs. 1 S. 1 RVG auf § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO hatte darüber hinaus zu weiteren Missverständnissen geführt. Aufgrund der vorgenannten Verweisungsregelung waren nämlich einzelne Gerichte der Auffassung, dass der Anwalt aus der Landeskasse keine Umsatzsteuer erhalte, wenn die von ihm vertretene Partei, der er beigeordnet oder für die er bestellt worden war, zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Diese Auffassung hat insbesondere das OLG Celle vertreten.
Rz. 149
Rz. 150
In den Gründen hat sich das OLG Celle dann ausdrücklich auf die Verweisungsregelung des § 55 RVG auf § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO berufen. In der Begründung hat das OLG Celle weiterhin ausgeführt, es könne ja nicht sein, dass der Kostenerstattungsanspruch bei Vorsteuerabzugsberechtigung des Mandanten auf den Nettobetrag beschränkt sei, die Landeskasse aber den Bruttobetrag zahlen müsse.
Rz. 151
Hierbei hat das OLG Celle verkannt, dass es sich bei der Kostenerstattung nach den §§ 103 ff. ZPO um den Erstattungsanspruch des Mandanten handelt, während es im Verfahren nach § 55 RVG um den Vergütungsanspruch des Anwalts geht.
Rz. 152
Beispiel:
Der Anwalt war der zum Vorsteuerabzug berechtigten Partei für einen Rechtsstreit über eine Forderung in Höhe von 10.000,00 EUR beigeordnet. Nach Abschluss des Verfahrens hatte der Anwalt wie folgt abgerechnet (altes Recht):
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, § 49 RVG, Nr. 3100 VV RVG |
|
399,10 EUR |
2. |
1,2-Terminsgebühr, § 49 RVG, Nr. 3104 VV RVG |
|
368,40 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
787,50 EUR |
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4. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
|
149,63 EUR |
|
Gesamt |
|
937,13 EUR |
Rz. 153
Nach der Rechtsprechung des OLG Celle hätte die Landeskasse jetzt nur den Nettobetrag der Vergütung i.H.v. 787,50 EUR zahlen müssen.
Rz. 154
Nicht erklärt hat das OLG Celle, wie der Anwalt in diesen Fällen an seine Umsatzsteuer i.H.v 149,63 EUR kommen sollte. An das Finanzamt abführen musste er die Umsatzsteuer ja auf jeden Fall. Zum einen wäre daran zu denken gewesen, wegen der Umsatzsteuer die Partei in Anspruch zu nehmen. Insoweit müsste man sich dann aber erst einmal über die Sperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hinwegsetzen. Dies ließe sich noch damit begründen, dass sich die Beiordnung auf die Nettogebühren erstrecke und hinsichtlich der Umsatzsteuer die Sperrwirkung nicht greife. Damit wäre das Problem aber nur theoretisch gelöst worden. Eine Partei, die ratenfreie Prozesskostenhilfe erhält, wird häufig auch nicht in der Lage sein, die Umsatzsteuer zu entrichten. Auch die Abtretung des Erstattungsanspruchs gegenüber dem Finanzamt würde hier wenig weiterhelfen, da das Finanzamt im Zweifel den Anspruch aus dem Vorsteuerabzug mit anderen Steuerschulden verrechnen wird.
Rz. 155
Faktisch müsste der Anwalt also – würde man der Auffassung des OLG Celle folgen – die Umsatzsteuer aus seinem Nettohonorar begleichen. Seine Vergütung würde sich also um 19 % verringern.
Rz. 156
Auch auf einen Kostenerstattungsanspruch nach § 126 ZPO könnte der Anwalt nicht reflektieren, da es sich insoweit um einen übergegangenen Kostenerstattungsanspruch der Partei handelt und hier folglich die Vorsteuerabzugsberechtigung wieder zu berücksichtigen wäre (s. Rdn 158).
Rz. 157
Die ganz überwiegende Rechtsprechung hat daher auch nicht auf eine Vorsteuerabzugsberechtigung abgestellt, sondern dem Anwalt auch bei Vorsteuerabzugsberechtigung der Partei die Umsatzsteuer festgesetzt, ausgezahlt.