I. Allgemeine Grundsätze
Rz. 150
Der Erwerb von Todes wegen wird durch die Grundsätze der Gesamtrechtsnachfolge, § 1922 BGB, und dem Prinzip des Von-Selbst-Erwerbs beherrscht, § 1942 Abs. 1 BGB. Als Ausgleich für den ohne oder sogar gegen den Willen des Erben eintretenden Von-Selbst-Erwerbs erhält der Erbe gem. § 1942 Abs. 1 BGB das Recht, sich von der Erbschaft durch Ausschlagung wieder zu lösen. Dies hat binnen der Sechs-Wochenfrist der §§ 1943, 1944 BGB zu erfolgen. Die Ausschlagung kann frühestens mit Eintritt des Erbfalls erklärt werden, § 1946 BGB. Hingegen steht dem Nacherben das Recht zu, die Ausschlagung mit Eintritt des Erbfalls oder wahlweise mit dem Tod des Vorerben zu erklären, § 2142 Abs. 1 BGB. Ein Nachlasspfleger ist hingegen nicht berechtigt, mit Wirkung für die unbekannten Erben eine in den Nachlass des Erblassers gefallene weitere Erbschaft auszuschlagen; das Ausschlagungsrecht ist ein nur dem Erben bzw. seinem Rechtsnachfolger persönlich zustehendes Recht, dass der Nachlasspfleger nicht ausüben darf.
Rz. 151
Die Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Erbe vom Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt. Sofern der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen ist, beginnt diese Frist nicht vor der Verkündung der entsprechenden Verfügung. Der Fristbeginn für die Ausschlagung bei gestörten Familienverhältnissen wird von der Rspr. dergestalt "hinausgeschoben", dass sichere Kenntnis vom Berufungsgrund und dem Erbfall vorliegen muss. Waren die Familienbande vor dem Erbfall lange Zeit abgebrochen und kann ein Abkömmling deshalb zu der Frage, ob er von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde, nur mutmaßen, kann die Kenntnis vom gesetzlichen Berufungsgrund fehlen, was den Fristanlauf für die Ausschlagung hindert. Die Ausschlagungsfrist wird auf sechs Monate verlängert, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland hatte oder sich der Erbe bei Beginn der Frist im Ausland aufhielt, § 1944 Abs. 3 BGB. Die Anwendung der verlängerten Frist nach § 1944 Abs. 3 BGB kommt allerdings bei einem bloßen Tagesausflug ins Ausland nicht in Betracht, da dies sowohl Sinn und Zweck des Gesetzes als auch dem Begriff des "Aufenthalts" nicht entspricht.
Rz. 152
Häufig übersehen wird die Vorschrift des § 1943 BGB. Danach kann die Erbschaft nicht mehr ausgeschlagen werden, wenn sie angenommen wurde oder die Ausschlagungsfrist verstrichen ist. Die Annahme der Erbschaft kann sowohl ausdrücklich als auch durch schlüssiges Verhalten herbeigeführt werden. Die Annahmeerklärung ist eine formlose, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Annahmeerklärung durch schlüssiges Verhalten hat keinen Zieladressaten, sodass jedes Verhalten, das darauf schließen lässt, der Erklärende wolle die Erbschaft endgültig behalten, als Annahmeerklärung schlüssiger Art gewertet werden kann. Als schlüssiges Verhalten kommen z.B. in Frage:
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Beantragung eines Erbscheins |
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Zustimmung des Miterben zum Erbscheinantrag |
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Grundbuchberichtigungsantrag des Erben über Nachlassimmobilie |
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Verwendung von Nachlassgegenständen für eigene Zwecke |
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Anbieten einer Nachlassimmobilie Zwecks Verkauf |
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Verkauf werthaltiger Nachlassobjekte, um private Schulden zu tilgen |
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nicht eilbedürftige Einziehung einer Nachlassforderung, sofern keine Verjährung droht |
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Abtretung oder Verkauf des Erbteils |
Rz. 153
Werden hingegen Handlungen über Nachlassgegenstände vorgenommen, die der Sicherung oder dem Erhalt des Nachlasses dienen, weil sie wegen Verjährung eilbedürftig sind, der Pietät entsprechen oder der bloßen Informationsbeschaffung über den Nachlassumfang dienen, handelt es sich lediglich um Fürsorgemaßnahmen über den Nachlass ohne Annahmecharakter. Keine schlüssige Annahmehandlung liegt in:
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Beantragung der Testamentseröffnung |
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Bezahlung der Bestattungskosten |
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Kontensperrung zur Nachlasssicherung |
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Verfügung über Nachlassgegenstände, um flüssige Geldmittel zur Bestattung des Verstorbenen zu erlangen. |
Beachte
Bis die Erbschaft angenommen ist, besteht in prozessualer Hinsicht keine passive Prozessführungsbefugnis. Auch die Einrede des § 1958 BGB kann bis dahin erhoben werden.
Rz. 154
Nach § 1947 BGB ist die Annahme- und Ausschlagungserklärung bedingungsfeindlich und kann auch nicht auf nur einen Teil der Erbschaft beschränkt werden, § 1950 BGB. Ist die Erbschaft ausgeschlagen, bewirkt dies, dass der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden als nicht erfolgt gilt, § 1953 Abs. 1 BGB. Das Erbe fällt dann nach § 1953 Abs. 2 BGB an den Nächstberufenen, der auch ein Miterbe sein kann, dem dann der Erbteil anwächst.
Zu beachten ist, dass die Erbausschlagung einer Haftung für Bestattungskosten aus öffentlich-rechtlichen Normen nicht entgegensteht. Nicht selten ist daher bei einer behördlichen Bestattung ("Sozialbestattung") der Rückgriff der öffentlichen Hand gegen den Ausschlagenden aufgrund landesrechtlicher Vorschriften möglich.