Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 481
Die Anfechtung wegen Irrtum oder falscher Übermittlung im Sinne der §§ 119, 120 BGB muss nach § 121 Abs. 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Bei der Anfechtung wegen Arglist oder Drohung beträgt die Frist nach § 124 BGB ein Jahr; sie beginnt im Fall der Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, und im Fall der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört, wobei zusätzlich §§ 206, 210 und 211 BGB entsprechend gelten.
Rz. 482
Sowohl für Anfechtung wegen Irrtum oder falscher Übermittlung im Sinne der §§ 119, 120 BGB als auch für Anfechtung wegen Arglist oder Drohung im Sinne des § 123 BGB enthalten §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 2 BGB eine identische Ausschlussfrist: Danach ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. Die Fristen der §§ 121, 124 BGB sind von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfristen, die von den Ausnahmen des § 124 Abs. 1 BGB abgesehen, weder unterbrochen noch gehemmt werden können.
Rz. 483
(Insolvenzrechtliche) Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO, 1 ff. AnfG können ebenfalls nur mit Rücksicht auf bestimmte Ausschlussfristen geltend gemacht werden. Bei der Anfechtung des Insolvenzverwalters sind – abhängig von den Umständen der anfechtbaren Rechtshandlung – Fristen von einem Monat bis zu zehn Jahren vor dem Eingang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Insolvenzgericht geregelt. Hier bedarf es einer genauen Analyse, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die eine oder die andere Anfechtungsregelung vorliegen, damit der Insolvenzverwalter erfolgreich Anfechtungsansprüche realisieren kann.
Rz. 484
Beispielsweise sind bei der sog. Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO zwar selbst Vorgänge, die zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag liegen, noch anfechtbar, freilich nur, wenn der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht handelte und der Empfänger davon wusste. Rechtshandlungen, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, sind hingegen ohne weitere Voraussetzung anfechtbar, wenn sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden sind (§ 131 Abs. 1 Nr. 1).
Rz. 485
Hierbei ist zu beachten, dass die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO von Seiten des Insolvenzverwalters "nicht – geschweige denn ausdrücklich – als solche “erklärt‘ werden" muss. Für die Ausübung des Anfechtungsrechts reicht somit jeder Umstand aus, der erkennen lässt, dass der Insolvenzverwalter bestimmte zur Gläubigerbenachteiligung führende Umstände nicht hinnehmen und den Anfechtungsgegner zur Erstattung der Vermögensabflüsse in die Masse auffordern wird. Die einzige zeitliche Schranke bildet die Verjährung nach § 146 Abs. 1 InsO, wobei der Insolvenzverwalter nach § 146 Abs. 2 InsO die Erfüllung einer Leistungspflicht, die auf einer anfechtbaren Handlung beruht, auch dann noch verweigern kann, wenn der Anfechtungsanspruch verjährt ist.
Rz. 486
Die Ansprüche wegen Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO unterliegen nach § 146 Abs. 1 InsO in der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004, das am 15.12.2004 in Kraft trat, der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 195 ff. BGB. Der Lauf dieser Frist beginnt frühestens mit dem Schluss desjenigen Jahres, in dem das Insolvenzverfahren per Gerichtsbeschluss eröffnet wurde, weil der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht als ein Recht der Insolvenzmasse entstehen kann.
Rz. 487
Weitere Voraussetzung für den Beginn der Verjährung nach § 146 InsO ist, dass der Insolvenzverwalter als die Anfechtung ausübender Gläubiger Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom tatsächlichen Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen und von der Person des Anfechtungsgegners erlangt bzw. diese infolge grob fahrlässiger Unkenntnis nicht erlangt hat. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des BGH etwa der Fall, wenn der Insolvenzverwalter
Zitat
"einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht oder auf der Hand liegende, Erfolg versprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte".
Rz. 488
§ 146 Abs. 1 InsO in seiner seit 15.12.2004 gültigen Verfassung unterscheidet sich daher erheblich zum Vorteil des Insolvenzverwalters von seiner Vorgängerfassung, laut der der Anfechtungsanspruch in zwei Jahren seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verjährte, also stichtagsbezogen zwei Jahre nach dem gerichtlichen Eröffnungsbeschluss (§ 146 Abs. 1 InsO a.F.), was in länger laufenden Verfahren bisweilen auch heute n...