Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 391
Selbst wenn man sich als Anwalt trotz der vorstehend aufgezeigten Risiken zur Empfehlung, ein Güteverfahren durchzuführen, hinreißen – "hinreißen" deshalb, weil die Einschaltung eines Anwalts regelmäßig in einem Konfliktmilieu erfolgt, dem in der Regel das Scheitern einer Einigung der Parteien ohne anwaltliche Hilfe vorausgegangen war und dann ein Güteverfahren als rechtsmissbräuchlich gem. der Auffassung des IV. Zivilsenats des BGH anzusehen ist – lassen sollte, ergäben sich viele weitere Gefahren, die das Güteverfahren jedenfalls in verjährungsrechtlicher Hinsicht als untauglich offenbaren.
Rz. 392
Zunächst einmal sind die formellen Anforderungen an Güteanträge zu beachten, die nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Gütestelle zu Gütestelle variieren können. So existieren Verfahrensordnungen von Gütestellen, die – anders als etwa die ZPO – eine Vorlage einer Originalvollmacht für den Vertreter des Antragstellers spätestens bei Antragstellung vorschreiben. Sowohl der BGH als auch das BVerfG haben die Einhaltung dieser Formalie als zwingend eingestuft und dem Güteantrag ohne Vollmacht die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB abgesprochen. Ein per E-Mail eingereichter Güteantrag wahrt die nötige sog. prozessrechtliche Schriftform nicht, es sei denn, dass die elektronische Form ausdrücklich gestattet ist. Ohne Einhaltung aller Formerfordernisse der jeweiligen Gütestelle können die Rechtsfolgen des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB grds. nicht herbeigeführt werden.
Rz. 393
Zwar gibt es in einigen Bundesländern und Verfahrensordnungen von Gütestellen keine den §§ 12 ff. ZPO vergleichbare Vorgaben für die Einreichung eines Güteantrags bei einer bestimmten Gütestelle, sodass Antragsteller in der Wahl einer bestimmten Gütestelle grds. frei sind, zumal auch die Anrufung einer unzuständigen Gütestelle die Verjährung hemmt. Allerdings hat das OLG Celle mit Urt. v. 24.9.2015 diesen Grundsatz um eine Ausnahme – und zwar, wenn "die Auswahl der Gütestelle […sich] als bewusste Inkaufnahme der monatelangen Bekanntgabeverzögerung dar[stellt]" – ergänzt, die dem Güteverfahren ebenfalls die Rechtssicherheit nimmt, um es als Element der Verjährungshemmung zu gebrauchen.
Rz. 394
Reicht ein Antragsteller nämlich seinen Güteantrag bei einer Gütestelle, die erkennbar mit der Arbeit überlastet ist, anstatt bei anderen, weniger ausgelasteten Gütestellen ein und kommt es zu mehrmonatigen, von vorneherein absehbaren Ablaufverzögerungen bei dieser belasteten Gütestelle, so kommt dem Antragsteller die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO, wonach die Hemmung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Güteantrags zurückwirkt, wenn diese Bekanntgabe "demnächst" nach der Einreichung veranlasst wird, nicht zugute. Jedenfalls wenn "im Paket" gleich mehrere Tausend Anträge bei einer "1-Mann"-Gütestelle eingereicht werden, sind Ablaufverzögerungen absehbar und den anwaltlichen Vertretern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
Rz. 395
Ein Anwalt muss also auf eine sachgerechte Auswahl der Gütestelle bedacht sein und sicherstellen, dass diese die nötigen Kapazitäten für die Abarbeitung eines Güteantrags hat und den Güteantrag auch in angemessener Zeit abarbeitet. Ob die Entscheidung des OLG Celle vom 24.9.2015 verallgemeinerungsfähig ist, ist fraglich, nachdem das Gericht selbst von einer "rechtshistorische[n] Ausnahmesituation"“ sprach. Zudem hatte es das OLG Celle mit einem von rund 12.000 Fällen zu tun, bei deren Sachbehandlung sich dem Gericht der Eindruck aufdrängte, dass der sachbearbeitende Rechtsanwalt im Zusammenwirken mit dem Güterichter das Güteverfahren nur gewählt hatte, um im eigenen Gebühreninteresse ausreichend Zeit für die Anfertigung mehrerer 1000 Klagen zu gewinnen.
Rz. 396
Ein weiteres – aus dem Bereich der Rechtsverfolgung per Mahnbescheid auch schon länger bekanntes und unter Rdn 708 näher erörtertes – Problem haftet Güteanträgen auch insoweit an, als klare Vorgaben für die Bestimmtheit des Güteantrags nicht existieren. Abweichend von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bedarf es zwar nach der Rechtsprechung des BGH keines genau bezifferten Zahlungsantrages, weil eine derartige Festlegung den Zielen von Mediation und Schlichtung eher abträglich wäre. Im Übrigen hat der BGH selbst angemerkt, dass weitere Vorgaben aber "nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden" können, Art und Umfang der erforderlichen Angaben von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängen.
Rz. 397
In seiner Leitentscheidung vom 18.6.2015 für Anlageberatungsfälle hat sich der BGH dafür ausgesprochen, dass zur notwendigen Individualisierung regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie der (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und der Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen sind, ferner das angestrebte Verfahrensziel zumindest so weit zu umschreiben ist, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich...