Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 458
Aufgrund fehlender Konturen der Ansicht, dass es zur Eindämmung von Missbrauchsgefahren erforderlich sei, über objektive Korrekturen des § 72 ZPO eine verjährungshemmende Wirkung nur dort anzunehmen, wo eine berichtigte oder verständliche Vorgreiflichkeit aus Sicht des Streitverkünders angenommen werden kann, haften der Streitverkündung auch insoweit verjährungsrechtliche Imponderabilitäten an, zumal die Unzulässigkeit der Streitverkündung unbestreitbar nicht zur Verjährungshemmung führt.
Rz. 459
Es ist daher vor einer Streitverkündung zu prüfen, ob
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diese Maßnahme statthaft ist, wie bspw. nicht bei Streitverkündungen gegenüber Gerichtssachverständigen oder in Kapitalmuster-Verfahren, da unzulässige und damit auch unstatthafte Streitverkündungen keine Verjährung hemmen; |
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im Verhältnis zum Streitverkündungsempfänger eine ausschließliche kumulative oder subsidiäre Haftung des Prozess- bzw. Verfahrensgegners vorliegt (Bsp.: Haftungsklage gegen Notar mit Streitverkündung, obwohl Notar nur subsidiär haftet); |
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eine wenigstens teilweise – entweder rechtliche oder tatsächliche – Alternativität der Haftung von Prozess- bzw. Verfahrensgegner und Streitverkündungsempfänger vorliegt. |
Rz. 460
Bei und nach einer Streitverkündung ist sicherzustellen, dass
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ein Schriftsatz mit Vollrubrum und klar erkennbaren Hinweisen, dass eine Streitverkündung gegenüber einer bestimmten Partei erfolgt, in ausreichender Zahl ausgefertigt wird; |
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der Grund der Streitverkündung und die Lage des Rechtsstreits gem. § 73 S. 1 ZPO mit größtmöglicher Sorgfalt angegeben werden, weil sich nur in Bezug auf konkret benannte Umstände die Wirkungen der § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB, § 68 ZPO entfalten; |
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die allein die Wirkungen des § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB auslösende Zustellung der Streitverkündungsschrift auch tatsächlich an den Streitverkündungsempfänger erfolgt. |
Rz. 461
Man sollte aber auch entschieden – schon zwecks Vermeidung gerichtlicher Fehler, für die Anwälte ebenfalls einzustehen haben – den immer wieder anzufindenden Versuchen entgegentreten, mit denen etwa mit nicht vollständig durchdachten oder nicht ganz präzisen Ausführungen und Zitaten aus (überholter) Rechtsprechung und Literatur der Streitverkündung ihre Wirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abzusprechen gedacht wird.
Rz. 462
Ist im Zeitpunkt der Streitverkündung unklar, ob eine alternative oder allein gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt, ist die Streitverkündung zulässig. Entscheidend ist – wie oben dargestellt wurde – insoweit, ob der Streitverkünder zur Zeit seiner Streitverkündung zwingend davon ausgehen musste, dass ihm nicht der Prozessgegner, sondern nur der Streitverkündungsgegner hafte, bzw. ob er davon ausgehen durfte, es liege kein Fall der ausschließlich gesamtschuldnerischen Haftung vor.
Rz. 463
Wenn demnach
Zitat
"ein Fall der “gesicherten‘ kumulativen oder parallelen Schuldnerschaft […] eher fernliegend [ist]; vielmehr aus der Sicht der Klägerin (seinerzeitige Antragstellerin) eine Alternativität der Ansprüche gegen […] nicht auszuschließen gewesen sein"
dürfte, ist zu unterstellen, dass der Streitverkünder den Anforderungen des § 72 ZPO genüge getan hat, zumal die Streitverkündung auch bei Gesamtschuldnerschaft zulässig ist, wenn nicht alle Gesamtschuldner im gleichen Umfang haften.
Rz. 464
Selbst bei teilweisem kumulativen Nebeneinander von Ansprüchen oder Anspruchsteilen ist die Streitverkündung insgesamt zulässig und verjährungshemmend, wie auch schon oben am Beispiel der nicht im identischen Umfang haftenden Gesamtschuldner aufgezeigt worden ist. Eine zulässige Streitverkündung liegt nach der von der Rechtsprechung über den Wortlaut des § 72 ZPO hinaus entwickelten Fallgruppe der Alternativität auch vor, wenn diese nicht rechtlich und nicht ausschließlich gegeben ist.
Rz. 465
Für Fallkonstellationen, bei denen sich die streitverkündende Partei ein Fehlverhalten des Streitverkündungsempfängers im Rahmen der Anspruchsverfolgung gegen den Prozess- bzw. Verfahrensgegner eventuell nach §§ 254, 278 BGB zurechnen lassen müsste und daher nicht mit ihren Begehrlichkeiten im Ausgangsverfahren gegenüber dem Prozess- bzw. Verfahrensgegner durchdringen würde, hat der BGH in seinem Urt. v. 22.12.1977 "die Streitverkündung als sinnvoll“ und zulässig bezeichnet."
Rz. 466
Einen eindeutigen Fall hatte der BGH im Urt. v. 6.12.2007 insoweit zu beurteilen, als in einem Haftpflichtprozess gegen den grds. nur subsidiär haftenden Notar eine Streitverkündung gegen die den Mandanten beratende Steuerberater- und Wirtschaftsprüfergesellschaft erfolgt war, die vorrangig haftet und damit eine Haftung des Notars ausgeschlossen ist.
Rz. 467
Zwar mag der Ausgang des Prozesses gegen den Berater für einen späteren Prozess gegen den Notar präjudiziell sein; umgekehrt ist es nicht der Fall, sodass in einem Ausgangsverfahren gegen den Notar die Streitverkündung gegenüber einem vorrangig haftenden Schädiger nach § 72 Abs. 1 ZPO unzulässig ist.
Rz. 468
Nachdem der BG...