Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 469
Das selbstständige Beweisverfahren unterliegt eigenen Regeln, was sich nicht nur in den Sondervorschriften der §§ 485 ff. ZPO im Vergleich zur Beweiserhebung durch Einholung von Augenschein durch das Gericht, Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten, die im Regelverfahren nach §§ 371 ff., 373 ff. ZPO und §§ 402 ff. ZPO erfolgen, offenbar wird. Insbesondere soll das selbstständige Beweisverfahren – und insoweit war die früher gebräuchliche Verfahrensbeschreibung auch klarer – der Beweissicherung dienen. Damit einhergehend können nicht dieselben Konkretisierungsanforderung wie an den Beweisantritt im Regelverfahren gestellt werden, weil dem Antragsteller mangels Sachverstand häufig überhaupt nicht klar ist, wo sein Problem zu verorten ist.
Rz. 470
Die vor allem durch die Unabhängigkeit von einem Hauptsacheverfahren durch § 485 Abs. 2 ZPO eröffnete Möglichkeit der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens u.a. auch zu Schadensursachen und Kosten ihrer Beseitigung impliziert, dass ein entsprechender Beweisantrag auf "Ausforschung" ausgerichtet ist, weil der Antragsteller Ursachen von Mängeln und den Aufwand zu ihrer Beseitigung schlicht nicht kennen kann.
Rz. 471
Die etwa auf dem Gebiet des Baurechts etablierte sog. Symptomrechtsprechung beschränkt sich auf die Schilderung äußerlich erkennbarer Mängel, kann daher zum (inneren) Zustand einer Person oder Sache bzw. ihrem Wert nur bedingt, zu ihren Ursachen und dem Aufwand der Beseitigung eines mangelhaften Zustands überhaupt nichts beitragen. Diese Vorbemerkungen sind veranlasst, um die (verjährungsrechtlichen) Risiken von Beweisanträgen nach §§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB, 485 ff. ZPO einordnen zu können.
Rz. 472
Zum einen wird von Rechtsprechung und Schrifttum für das Auslösen der übrigen Hemmungstatbestände des § 204 Abs. 1 BGB nämlich eine weitgehende Individualisierung durch den Antragsteller gefordert. Zum anderen birgt die Beschränkung auf akustisch, taktil oder visuell wahrnehmbare Mangelsymptome die Gefahr, dass jenseits dieser Wahrnehmungsschwellen verborgen gebliebene Mängel überhaupt nicht festgestellt werden.
Rz. 473
Gem. § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB hemmt die Zustellung des Antrags auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens die Verjährung. Das selbstständige Beweisverfahren zu einer Vielzahl von Mängeln hemmt die Verjährung nicht nur für den einzelnen Mangel, sondern auch für das gesamte Werk, wenn durch die gerügten Mängel das gesamte Werk in Frage gestellt wird.
Rz. 474
Die Dauer der Verjährungshemmung ist für die in einem selbstständigen Beweisverfahren untersuchten Mängel jeweils eigenständig zu beurteilen. Jeder Mangel hat auch dann verjährungsrechtlich sein eigenes Schicksal, wenn die Mängel von einem Sachverständigen in einem Gutachten untersucht werden, das selbstständige Beweisverfahren nach Erstellung des Gutachtens jedoch nur hinsichtlich einzelner Mängel weiterbetrieben wird.
Rz. 475
Das kann das Erfordernis begründen, wegen einiger Mängel bereits Klage zu erheben, wohingegen wegen anderer Mängel das selbstständige Beweisverfahren noch fortbetrieben wird.
Rz. 476
Die Hemmung währt nicht unbegrenzt. Gem. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB endet sie sechs Monate nach Beendigung eines Verfahrens. Daher ist es wichtig für das Ende der Hemmung, wann ein selbstständiges Beweisverfahren beendet ist. Eine förmliche Beendigung ist durch das Gesetz nicht vorgesehen. Allerdings ist von einer grds. Beendigung auszugehen, wenn das selbstständige Beweisverfahren sachlich beendet ist.
Rz. 477
Mit der Übersendung des schriftlichen Gutachtens an die Parteien ist das selbstständige Beweisverfahren grds. beendet, sofern nicht das Gericht gem. § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme setzt oder die Parteien in angemessener Zeit keine das Gutachten betreffenden Anträge oder Ergänzungsfragen stellen. Unabhängig davon endet das selbstständige Beweisverfahren aber mit dem Eingang des Sachverständigengutachtens, wenn binnen angemessener Zeit keine Anträge oder Ergänzungsfragen gestellt worden sind.
Rz. 478
Der zeitweise Nichtbetrieb des Beweisverfahrens kann die Hemmung enden und die Verjährung weiterlaufen lassen, etwa weil gestellte Fragen und Problemkreise nur teilweise abgearbeitet wurden und Ergänzungsgutachten nötig werden. Es passiert zudem erstaunlich häufig, dass nominierte Gerichtssachverständige zwar rasch Honorarvorschüsse anfordern, aber dann sehr weitgehend untätig bleiben oder Verfahren verzögern, was die Wirkungen des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB auslösen kann.
Rz. 479
Praxistipp
Daher sollten Anwälte auch darauf achten, dass Beweisverfahren zügig zum Abschluss gebracht werden. Die nicht selten anzutreffende Angewohnheit von Gerichten, den Sachverständigen völlig freie Hand zu lassen und diese nicht zu einer zügigen und verfahrensökonomischen Arbeitsweise anzuhalten, hat den Gesetzgeber zur Neufassung unter anderem des § 411 ZPO durch das am 15.10.2016 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Sachverständigenrechts v...