Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 833
In prozessualer Hinsicht ist zunächst einmal zu berücksichtigen, dass vom Versicherungsnehmer nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG mittlerweile auch in seinem Wohnsitzgerichtsstand geklagt werden kann. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass hier vieles aufgrund des klaren Wortlauts des § 215 Abs. 1 VVG umstritten ist, sodass ein unbedachtes Vorgehen rasch zu einer Klageabweisung wegen Anrufung eines unzuständigen Gerichts führen kann.
Rz. 834
Auch zehn Jahre nach der VVG-Reform ist ungeklärt, ob Versicherte ebenfalls am Gerichtsstand ihres Wohnsitzes Klagen aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung erheben können und ob diese Regelung auch für Unternehmen oder nur für natürliche Personen gilt. Es ist festzustellen, dass Gerichte jenseits der Standorte von Versicherungsgesellschaften dazu neigen, auch mit "gekünstelt" wirkenden Ansichten zu § 215 VVG einer Entscheidung in der Sache zu entgehen.
Rz. 835
Andererseits können persönliche Verflechtungen etwa zwischen "Haus- und Hofanwälten" bestimmter Klienten und Spruchkörpern an Gerichtsorten auch dazu führen, dass Gerichte einmal als versichererfreundlicher, ein andermal versicherungsnehmerfreundlicher eingestuft werden. Nicht zuletzt auch mit Blick auf spezialisierte Versicherungskammern und -senate bei einigen Gerichten wird empfohlen, die Wahl des Gerichtsstands genau abzuwägen.
Rz. 836
Es ist immer wieder festzustellen, dass Schädiger und Versicherer fälschlicherweise gemeinsam haftbar gemacht werden. Dieses Vorgehen ist grds. aber nur im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherungssparte möglich, während im Bereich der übrigen Schadenversicherungen eine solche Vorgehensweise ausgeschlossen ist. Hier ist eine genaue Lektüre von § 115 Abs. 1 VVG anzuraten.
Rz. 837
Außerhalb des Bereichs von Haftpflichtversicherungen zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht, d.h. Kfz-Haftpflichtversicherungen (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG), ist nur in Fällen der Insolvenz (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VVG) oder des unbekannten Aufenthalts (§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VVG) des Versicherten eine direkte Regressnahme beim Versicherer möglich.
Rz. 838
Dabei wird auch häufig nicht zutreffend zwischen § 115 VVG auf der einen Seite und § 110 VVG auf der anderen Seite abgegrenzt. Während § 115 VVG sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf den Anspruch auf Schadensersatz bezieht, vermittelt § 110 VVG im Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers bei dem Versicherer.
Rz. 839
Diese abgesonderte Befriedigung nach § 110 VVG kann erst verlangt werden, wenn der Haftpflichtanspruch gegen den Versicherungsnehmer festgestellt ist, sei es durch ein Urteil nach entsprechender Schadensersatzklage, sei es durch eine Feststellung der Haftpflichtforderung zur Insolvenztabelle.
Rz. 840
Denn im Bereich des Haftpflichtversicherungsrechts gilt das sog. Trennungsprinzip zwischen Haftungs- und Versicherungsverhältnis. Mit diesem Prinzip geht der Grundsatz der Bindungswirkung des rechtskräftigen festgestellten Haftpflichtanspruchs einher, d.h. dass im Deckungsprozess gegen den Versicherer Fragen der grds. Haftung als verbindlich zugrunde gelegt werden.
Rz. 841
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Absonderungsanspruch nach § 110 VVG nicht gegen den Versicherer zu verfolgen ist. Vielmehr hat der Geschädigte durch § 110 VVG das Recht, ohne dass insolvenzrechtliche Überprüfungsverfahren eine direkt gegen den Insolvenzverwalter gerichtete Zahlungsklage zu erheben, wobei diese Zahlungsklage gegen den Insolvenzverwalter auf die Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Versicherer zu beschränken ist.
Rz. 842
Beispiel
für einen Klageantrag nach einem kürzlich vom OLG Köln abgeschlossen Fall:
"Der Beklagte [in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter] wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 19.080,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2014 zu bezahlen, beschränkt auf die Versicherungsforderung.“"
Rz. 843
Ein prozesstaktischer Fehler kann es sein, wenn im Haftpflichtprozess gegen den versicherten Schädiger mehr als nötig vorgetragen wird und dort letztlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB oder gar ein strafbares Verhalten im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dargestellt wird, wo schon ein einfach fahrlässiges Verhalten zur erfolgreichen Inanspruchnahme des Schädigers genügen würde.
Rz. 844
Denn die vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalles führt nach § 81 Abs. 1 VVG zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Da die Vorschrift abdingbar ist und davon in der Versicherungswirtschaft vielfältig Gebrauch gemacht wird, existieren auch Ausschlussklauseln, bei denen sogar schon wissentliche Pflichtverletzungen zum Ausschluss des Versicherungsschutzes führen.
Rz. 845
Wenngleich es naheliegend sein mag, aus Genugtuungsgründen eines geschädigten Mandante...