Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitgenossenschaft von Haftpflichtversicherer und insolventem Schädiger - Gerichtsstandbestimmung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Geschädigte kann den Schädiger, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist, und dessen freiwilligen Haftpflichtversicherer als Streitgenossen in Anspruch nehmen, wenn der Geschädigte nach Freigabe des Deckungsanspruchs durch den Insolvenzverwalter gegenüber dem Schädiger (Insolvenzschuldner) die Duldung der Zwangsvollstreckung in den versicherungsrechtlichen Deckungsanspruch und gegenüber der Versicherung die Verpflichtung zur Deckung geltend machen will.
2. In diesen Fällen ist eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO möglich (Abgrenzung zu OLG Bremen, Beschl. v. 2.8.2011 - 3 AR 6/11, juris und OLG Jena, Beschl. v. 17.3.2021 - 6 SA 3/21 (unveröffentlicht); Anschluss an BGH, Urteil vom 7.4.2016 - IX ZR 216/14, juris Rn. 12 nwN).
Normenkette
BGB §§ 1277, 1282 Abs. 2; VVG §§ 106, 110, 215; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, §§ 59-60
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Aktenzeichen 14 O 14/23) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Wiesbaden bestimmt.
Gründe
I. Die Klägerin berühmt sich Ansprüchen auf Schadensersatz infolge fehlerhafter Sanitärarbeiten der Beklagten zu 1) bei einem Bauvorhaben in Frankfurt am Main und macht außerdem geltend, die Beklagte zu 2) sei Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1). Über das Vermögen der Beklagten zu 1) ist das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte zu 1) hat, wovon sich der Senat durch Einsicht ins Handelsregister überzeugt hat, ihren Sitz in Stadt1. Sie ist im dortigen Handelsregister unter der in der Klageschrift angegebene Anschrift eingetragen. Die Beklagte zu 2) hat ihren Sitz ausweislich des Handelsregisters (entgegen den Angaben der Beklagten Bl. 57 d.A. nur) in Stadt2 und nicht unter der im Rubrum von der Klägerin angegebenen Anschrift in Stadt3.
Mit Schreiben vom 24.09.2021, Anlage K8 zur Klageschrift (im Anlagenordner) hat der Insolvenzverwalter "etwaige Freistellungs- / Versicherungsansprüche der Schuldnerin aus einem etwaigen Haftpflichtversicherungsvertrag" bei der Beklagten zu 2) "im Umfang der von der Gläubigerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche" aus der Insolvenzmasse freigegeben.
Mit ihrer zum Landgericht Wiesbaden erhobenen Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten zu 1), vertreten durch ihren Geschäftsführer - d.h. von der Insolvenzschuldnerin selbst und nicht vom Insolvenzverwalter - die Duldung der Zwangsvollstreckung in den Freistellungs- und Deckungsanspruch aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag (Klageantrag zu 1). Außerdem begehrt sie gegenüber der Insolvenzschuldnerin die Feststellung, dass diese verpflichtet sei, sämtliche aus dem Wasserschaden "nach § 106 VVG festzustellenden Schadensersatzansprüche in Höhe von 58.728,75 Euro zu ersetzen (Klageantrag zu 2). Diesen Antrag stellt sie, weil der Insolvenzverwalter ihre zur Tabelle angemeldeten Ansprüche noch nicht festgestellt, sondern die Klägerin auf den nächsten Prüfungstermin verwiesen habe (Klageschrift S. 4).
Mit dem Klageantrag zu 3) begehrt die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2), der Haftpflichtversicherung festzustellen, dass sie "wegen der gemäß Antrag Ziff. 1 und 2 gegenüber der Beklagten zu 1) festzustellenden Ansprüche nach § 106 VVG zur Deckung aus der Versicherung verpflichtet ist."
Die Beklagten haben die Zuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden gerügt. Daraufhin hat die Klägerin eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat gem. § 36 I Nr. 3 ZPO beantragt.
II. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist gem. § 36 I Nr. 3, II ZPO zur Entscheidung über den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung berufen. Für die Klage sind gem. §§ 1 ZPO, 71 I, 23 GVG die Landgerichte sachlich zuständig. Die Antragsgegner haben ihre allgemeinen Gerichtsstände gem. § 17 ZPO in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken, nämlich in den Landgerichtsbezirken Wiesbaden und Dortmund, von denen nur ersterer zum hiesigen OLG-Bezirk gehört. Zunächst höheres gemeinschaftliches Gericht ist daher der Bundesgerichtshof, so dass nach § 36 II ZPO das Oberlandesgericht zuständig ist, zu dessen Bezirk das mit der Sache zuerst befasste Gericht gehört. Dies ist aufgrund der erfolgten Anrufung (nur) des Landgerichts Wiesbaden das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
2. Das Landgericht Wiesbaden ist gem. § 36 I Nr. 3 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen.
a) Nach dieser - auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhenden (BGH, Beschluss vom 16. Februar 1984 - I ARZ 395/83, juris, Rn. 6) - Vorschrift ist ein zuständiges Gericht dann zu bestimmen, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Dabei ist der Sachvortrag des Antragstellers zu Grunde zu legen und findet im Verfahren der Zuständigke...