Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 148
Beispiel
Rechtsanwalt A ist mit F befreundet, dessen Vater V eine Kanzlei als Einzelanwalt betreibt. Da Rechtsanwalt A nach dem erst kürzlich bestandenen Assessorexamen noch keine Erfahrung im Betrieb einer eigenen Kanzlei hat, kommt er auf Vermittlung des F mit Rechtsanwalt V überein, dass er ein Büro in dessen Kanzleiräumen beziehen kann. Zwar möchte Rechtsanwalt V mit Rechtsanwalt A keinen Gesellschaftsvertrag schließen und eine Sozietät eingehen. Man einigt sich aber darauf, neues Briefpapier mit der Überschrift "Rechtsanwalt V & Coll." sowie dem nach Rechtsanwalt V Namen eingepflegten Hinweis "in Kooperation mit Rechtsanwalt A" drucken zu lassen. Daneben gestattet der wiederum in Dingen des Internets unerfahrene Rechtsanwalt V dem Rechtsanwalt A die Gestaltung einer Website, für die Rechtsanwalt A die URL "AundV-Anwälte.de" wählt.
Rz. 149
Gefährlich ist das von den Rechtsanwälten A und V gewählt Konstrukt deshalb, weil es im Rechtsverkehr als sog. Scheinsozietät mit den beiden Anwälten als Scheinsozien wahrgenommen werden kann, die gleich den echten Sozien haften. Die Scheinsozietät stellt einen nach außen kundgemachten Zusammenschluss von Anwälten ohne gesellschaftsvertragliche Grundlage dar, die zwar rechtlich ein Nullum ist, aber in Bezug auf die dort arbeitenden Anwälte haftungsrechtlich grds. wie eine BGB-Gesellschaft zu behandeln ist. Nach der Rechtsprechung des BGH haften angestellte Anwälte oder freie Mitarbeiter, wenn sie den zurechenbaren Anschein gesetzt haben, Mitglieder einer Sozietät zu sein.
Rz. 150
Die Grenzziehung, ob und inwieweit ein solcher zurechenbarer Rechtsschein gesetzt wurde, ist schwierig. Maßgeblich ist vor allem das schützenswerte Vertrauen der Mandanten, die mit einer solchen Scheinsozietät in Kontakt getreten sind. Als Scheinsozien werden sich angestellte Anwälte, freie Mitarbeiter oder Kooperationspartner behandeln lassen müssen, wenn sie zum Beispiel namentlich ohne jede Funktions- und Tätigkeitsbeschreibung auf dem Briefkopf, dem Praxisschild oder der Internet-Plattform der Kanzlei ausgewiesen sind. Streitig ist, ob mithilfe von Funktions- und Tätigkeitsbeschreibungen, wie etwa "angestellter Anwalt", "freier Mitarbeiter", "in Kooperation mit" oder "in Bürogemeinschaft mit" der Haftung als Scheinsozius Einhalt geboten werden kann.
Rz. 151
Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums verneinen bei der Anwendung solcher Funktions- und Tätigkeitsbeschreibungen eine Rechtsscheinhaftung als Scheinsozius, weil aufgrund solcher zusätzlichen Hinweise den betroffenen Rechtskreisen dadurch klar sei, dass der jeweilige Anwalt nicht Sozius sei. In einer versicherungsrechtlichen Entscheidung vom 18.5.2011 übernahm der IV. Zivilsenat des BGH fast wörtlich die bereits vom I. Zivilsenat des BGH in einem Urt. v. 21.1.1993 vertretene Wendung, wonach die "mit dem Begriff der Kooperation verbundene Vorstellung des Verkehrs von einer Zusammenarbeit ohne bestimmte gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen als Partner einer Anwaltssozietät oder einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung" geprägt sei.
Rz. 152
Es ist zweifelhaft, ob diese vor 25 Jahren geprägte Einschätzung des BGH dem heutigen Marktumfeld mit einem sich stetig ausweitenden Spektrum an anwaltlichen Kooperationsformen dem weit verstandenen Verbraucherschutzgedanken noch angemessen Rechnung trägt, jedenfalls was die Beurteilung einer Haftung sog. Scheinsozien angeht. Mittlerweile ist es ein weit verbreitetes Phänomen, dass sich auf dem Markt nicht nur "in Kooperation" oder "in Bürogemeinschaft" tätige Anwälte tummeln, sondern auch "Associates", "Associated Partners", "Counsels", "of Counsels", "Equity Partners" oder "Salary Partners" aktiv sind. Der Anwaltssenat des BGH hatte in einem Beschl. v. 18.4.2005 dem "Associate"-Begriff in wörtlicher Übersetzung mit einem Gesellschafter, Partner oder Sozius gleichgesetzt, obwohl er – jedenfalls im Jargon des deutschen Anwaltsmarkts – nur angestellte (Jung-)Anwälte umschreibt.
Rz. 153
Bereits in einem Urteil vom 17.12.2002 gab das OLG Köln zu bedenken, dass Funktions- und Tätigkeitsbeschreibungen für (potenzielle) Mandanten keine Bedeutung haben, weil Mandanten Kanzleiinterna weder kennen, noch dafür ein besonderes Interesse im Zusammenhang mit ihrem Anliegen entwickeln. Man wird dieser Einschätzung nur beipflichten können, wenn man berücksichtigt, dass sich selbst dem BGH – trotz korrekter Übersetzung – nicht die wirkliche Bedeutung hinter dem "Associate"-Begriff erschlossen hat und selbst Muttersprachler etwa dem "of Counsel" vom "Anwalt im Ruhestand" bis zum "Vollgesellschafter auf Probe" unterschiedliche mögliche Begriffserklärungen beimessen.
Rz. 154
Das rechtssuchende Publikum – und auf dieses kommt es an – muss derartiges weder wissen noch sich erschließen. Vielmehr wird ihm auch nach einer jüngeren Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH die berechtigte Erwartung zugeschrieben,
Zitat
"dass sich unter einer einheitliche...