Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 642
Der Beweislast und den für die richterliche Überzeugungsbildung heranzuziehenden Beweismaßstäben kommt im Haftungsrechtsstreit häufig eine prozessentscheidende Rolle zu.
Rz. 643
Der Patient hat grds. den Behandlungsfehler, seinen Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden zu beweisen.
Rz. 644
Auf Arztseite trägt der behandelnde Arzt die Beweislast für die Durchführung der Risikoaufklärung. Demgegenüber führt eine Verletzung der Pflicht des behandelnden Arztes zur therapeutischen Aufklärung (Sicherungsaufklärung), die als grober Behandlungsfehler zu werten ist, regelmäßig zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden, wenn sie geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; eine Wahrscheinlichkeit für ein Ergebnis einer Kontrolluntersuchung ist in einem solchen Fall nicht erforderlich.
Rz. 645
Im Fall eines voll beherrschbaren Risikos, wenn also feststeht, dass der Gesundheitsschaden aus der von der Behandlungsseite vollbeherrschbaren Sphäre kommt, liegt es auf der Hand, dass die Behandlungsseite die Beweis- und Darlegungslast in Bezug auf das Nichtvorliegen eines Behandlungsfehlers nach § 630h Abs. 1 BGB trägt. Lässt sich aber ein voll beherrschbares Risiko nicht feststellen, wie bspw. bei einer ungeklärten Infektionsquelle, trägt die Behandlungsseite immer noch die sekundäre Darlegungslast bei behaupteten Hygieneverstößen. Bei ungeklärter Infektionsquelle kommt eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko nicht in Betracht.
Rz. 646
Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt grds. zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden. Dafür reicht aus, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahelegen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht. Wenn der Kausalzusammenhang jedoch ausgeschlossen oder sehr unwahrscheinlich ist, findet eine Beweislastumkehr nicht statt.
Rz. 647
Ein grober Behandlungsfehler liegt nur dann vor, wenn eindeutig gegen bewährte Diagnoseregeln oder gesicherte Erkenntnisse verstoßen wird und dieser Fehler aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die richtige Diagnose muss für den Arzt "auf der Hand liegen", sie wird also nur mit Zurückhaltung als fehlerhaft eingeschätzt.
Rz. 648
Die Regeln über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gelten auch in einem dem Arzthaftungsprozess nachfolgenden Anwaltshaftungsprozess.
Rz. 649
Vorsicht ist für den Rechtsanwalt geboten, wenn er seinen Mandanten über die auf ihn zukommenden Kosten berät oder die Erfolgsaussichten der Klage völlig falsch einschätzt. Die Erfolgsaussichten der Klage einzuschätzen stellen für den Rechtsanwalt als medizinischen Laien eine besondere Herausforderung dar. Der Rechtsanwalt sollte im Rahmen des sichersten Weges und seiner geschuldeten Beratung jedenfalls auf die naheliegenden Beweisprobleme und auf sonstige Prozessrisiken hinweisen.
Rz. 650
Wie stets haben auch im Berichtszeitraum die Beweiserleichterungen, die in § 630h Abs. 5 BGB eine Regelung gefunden haben, diverse Entscheidungen ausgelöst.