Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 572
Grds. ist durch eine geeignete Büroorganisation des Anwalts sicherzustellen, dass sämtliche Fristen, die im Zusammenhang mit einem Mandat und einem Rechtsstreit zu beachten sind, eingehalten werden. Die Versäumung einer Prozesshandlung hat nach § 230 ZPO im Allgemeinen zur Folge, dass die Partei mit der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen wird. Wenn also innerhalb einer bestimmten Frist ein Rechtsmittel zu begründen ist, ist es ausgeschlossen, dass eine Partei erst nach Ablauf dieser Frist die Begründung einreicht.
Rz. 573
Nur ausnahmsweise kommt bei fehlendem Verschulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (§§ 233 ff. ZPO). Bei anwaltlich vertretenen Parteien, denen das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 85 ZPO zugerechnet wird, ist die Rechtsprechung aber sehr zurückhaltend bei der Annahme, dass es an einem Verschulden mangele. Dies zeigt sich auch darin, dass das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung im Anwaltsprozess gem. § 232 S. 2 ZPO unschädlich ist.
Rz. 574
Welche Fristen und Formen einzuhalten sind, kann hier nicht erschöpfend dargestellt werden. Für den allgemeinen Zivilprozess praktisch wohl relevanteste Frist ist die zur Begründung einer Berufung, die nach § 520 Abs. 2 ZPO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Ausgangsurteils erfolgen muss und ohne Einwilligung des Gegners grds. nur einmal um einen Monat verlängert werden kann, wenn der Rechtsstreit nicht verzögert wird oder wenn erhebliche Gründe für eine Verlängerung dargelegt werden.
Rz. 575
Auch wenn der Zeitraum von insgesamt, d.h. einschließlich einer bewilligten Fristverlängerung, einem ¼ Jahr auf den ersten Blick ausreichend für die Begründung einer Berufung erscheint, ist er doch in vielen Fällen ausgesprochen kurz. Das hat viele Gründe: Sei es eine in ungünstiger Zeit ergangene Ausgangsentscheidung, sei es eine Kollision mit anderweitigen Fristsachen oder Absenzen (Gerichtstermine, Urlaub usw.), sei es das in I. Instanz angefallenes Prozessmaterial, dessen Aufbereitung mehr Zeit als erwartet bedarf.
Rz. 576
Um dieser Probleme Herr zu werden, ist eine gute Büroorganisation unabkömmlich. Diese erfordert neben den oben unter Rdn 251 ff. schon allgemein beschriebenen Vorkehrungen, dass möglichst durch Regelungen von Vorbearbeitungsfristen eine Erledigung der Schriftsatz- und Abstimmungsarbeiten im Vorfeld des letzten Tags der Frist erfolgt, zumal es auch als nobile officium anzusehen ist, wenn Schriftsatzentwürfe der Mandantschaft mit ausreichender Vorlaufzeit zur Kenntnisnahme und etwaigen Mitteilung von Korrektur- oder Ergänzungswünschen überlassen werden.
Rz. 577
Praxistipp
In der Praxis hat sich eine Vorfrist von einer Woche, in Abhängigkeit von der Mandats- und Mandantenstruktur bisweilen auch von zwei Wochen als probates Mittel erwiesen, um den zeitlich limitierten Raum für eine Berufungsbegründung in den Griff zu bekommen. Zusätzliche Vorsicht ist bei Mandaten geboten, die einem Anwalt erst nach Abschluss der I. Instanz angetragen werden, weil die Unkenntnis des erstinstanzlichen Sach- und Streitstoffes negative Überraschungen beinhalten kann und eine verfrühte Zusage der Mandatsübernahme oder nicht rechtzeitige Auftragsablehnung nach § 44 BRAO haftungsbegründend sein kann.
Rz. 578
Für die Wahrung prozessualer Fristen ist auch die Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften von Nöten. Das Zivilrecht unterscheidet etwa zwischen der Schriftform (§ 126 BGB), der elektronischen Form (§ 126a BGB) und der Textform (§ 126b BGB). Im Prozessrecht ist auch mündliche Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle vorgesehen. Grds. ist aber auch im Zeitalter des digitalisierten E-Mail-Verkehrs nach wie vor die Schriftform des § 126 BGB zu beachten, der nur die Übermittlung per (Computer-)Telefax als gleichwertig gegenübergestellt werden kann.
Rz. 579
So kann zwar nach § 130 Nr. 6 ZPO eine Klageschrift nebst Abschriften formwirksam per Telefax an das zuständige Gericht gesandt werden. Da aber gefordert wird, dass der Absender Telekopien sowohl von der unterschriebenen Urschrift als auch der Abschriften ans Gericht übermittelt, ist es in der Praxis nicht selten, dass man ein Telefax mit über 100 Seiten versenden muss, weil ein 25-seitiger Schriftsatz in einem Prozess mit zwei Beklagten angefertigt wurde. Wird dagegen eine Klageschrift nebst Abschriften per Post an das Gericht gesandt, gilt das Schriftformerfordernis § 253 Abs. 5, S. 1 ZPO i.V.m. § 126 BGB. Das bedeutet, dass der Absender dem Gericht die unterschriebene Urschrift nebst Abschriften zukommen lassen muss. Es ist demnach eminent wichtig, bei der anwaltlichen Kommunikation die richtige Form zu wahren.