Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 707
Die mit der Zustellung eines Mahnbescheids verbundene Hemmungswirkung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB erfasst den Streitgegenstand insgesamt und somit auch alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die zum Streitgegenstand gehören. Demgemäß erstreckt sich die Hemmungswirkung bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs im Mahnantrag auf alle im Rahmen der Anlageberatung unterlaufenen Beratungsfehler.
Rz. 708
Zur erforderlichen Individualisierung bedarf es nicht der Benennung einzelner Pflichtverletzungen. Dem Mahnbescheidsantrag muss aber zu entnehmen sein, ob aus eigenem oder abgetretenem Recht Ansprüche geltend gemacht werden. Zur notwendigen Individualisierung gehört auch, dass die Zusammensetzung der Forderung aus dem Mahnbescheid erkennbar ist, wenn mehrere Einzelforderungen und nicht nur unselbstständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadens geltend gemacht werden. Ein entgangener Gewinn stellt einen selbstständigen Streitgegenstand und nicht nur einen unselbstständigen Rechnungsposten dar.
Rz. 709
Beispiel
Wenn ein Mandant wegen pflichtwidriger Andienung einer Anlagebeteiligung glaubt, einen Gesamtschaden über 100.000 EUR zu haben, der sich unter anderem aus einem entgangenen Gewinn von 30.000 EUR zusammensetzt, dann führt die pauschale Geltendmachung von 60.000 EUR per Mahnbescheid nicht zur Verjährungshemmung. Zum einen müsste im Mahnbescheid – ggf. auf einem beigefügten Zusatzblatt – darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den 60.000 EUR nur um einen Teil der Gesamtschäden von 100.000 EUR handelt und von den 60.000 EUR ein Anteil von x % auf die Forderung entgangenen Gewinns entfällt.
Rz. 710
Zwar kommt es für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag erlassenen und zugestellten Mahnbescheids an, sodass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar gem. § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig ist.
Rz. 711
Die Berufung auf die durch Zustellung eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann jedoch rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei, um die Regelungen der §§ 688 Abs. 2 Nr. 2, 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu unterlaufen, wonach bei Abhängigkeit des eingeforderten Anspruchs von einer Gegenleistung das Mahnverfahren nicht statthaft ist.
Rz. 712
Der Rechtsanwalt kann seinem Mandanten folglich erst zur Geltendmachung von dessen Ansprüchen im Wege des Mahnverfahrens raten, wenn die Gegenleistung bereits erbracht ist. Ansonsten ist die Geltendmachung von Ansprüchen im Mahnverfahren rechtsmissbräuchlich, wenn alleine Verjährungshemmung das Ziel ist.
Rz. 713
War früher noch umstritten, ob §§ 688 Abs. 2 Nr. 2, 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO einschlägig sein kann, wenn die Gegenleistung nicht Ausfluss des Synallagmas der Hauptleistungspflichten, sondern bloßer Reflex des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots und der Vorteilsausgleichung ist, wurde dies nun vom BGH in der Weise bejaht, dass in Fällen der analogen Anwendung des § 255 BGB ein Mahnverfahren nicht in Betracht kommt:
Rz. 714
Beispielsweise stellt die widerstreitende Geltendmachung des großen Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grds. verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht.