Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 903
Das Kapitel Zwangsvollstreckung birgt vielerlei Haftungsrisiken, auch wenn Anwälte nicht für die Solvenz der Vertragspartner und Prozessgegner ihrer Mandanten einzustehen haben, nicht zur Durchsetzung von Ansprüchen verpflichtet sind, die ihren Mandanten nach Recht und Gesetz nicht zustehen, und grds. nur in bekanntes oder ermittelbares pfändbares Vermögen vollstreckt werden muss.
Rz. 904
Allerdings haben Anwälte, die mit der Zwangsvollstreckung beauftragt worden sind, für eine Verwertbarkeit gepfändeter Ansprüche und für eine Werthaltigkeit der Ansprüche des Mandanten Sorge zu tragen und ggf. auch von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmtes Vermögen zu pfänden. Dementsprechend hat ein Rechtsanwalt seine Mandanten vor Gegenansprüchen aus § 842 ZPO zu schützen, indem er rechtzeitig für eine Verjährungshemmung Sorge trägt.
Rz. 905
Der mit der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung beauftragte Anwalt hat nach Erwirkung eines (vorläufigen) vollstreckungsfähigen Titels zeitnah die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Auch wenn der BGH bislang von einer präzisierenden Angabe eines Zeitraums abgesehen hat, wird es daher nicht genügen, wenn ein Anwalt länger als zwei Wochen mit Erfolg versprechenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zuwartet.
Rz. 906
Die Sicherungsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren, auf Geldzahlung gerichteten Urteilen nach § 720a ZPO, die schon ohne Titel mögliche Vorpfändung zum Einfrieren von Schuldnervermögen – v.a. Forderungen gegen Dritte wie etwa bei Bankguthaben oder Forderungen aus Lieferungen und Leistungen – nach § 845 ZPO und die Möglichkeiten der sog. "Kombi"-Vollstreckung, bei der dem Gerichtsvollzieher ein umfassender Vollstreckungsauftrag, der auch die Einholung von Vermögensauskünften beim Schuldner und sogar bei Dritten erfassen kann, erteilt wird (§§ 807, 802c, 802l ZPO), sind unabdingbares Allgemeingut für die vollstreckungsrechtliche Beratung eines Anwalts.
Rz. 907
Bei der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO ist die zweiwöchige Karenzfrist des § 750 Abs. 3 ZPO zu beachten, bei der Vorpfändung die Vollziehungsfrist von einem Monat nach § 845 Abs. 2 ZPO. Wird diese Vollziehungsfrist nicht eingehalten und nicht binnen eines Monats die Pfändung bewirkt, verliert die Vorpfändung ex tunc ihre Wirkungen. Nach Ansicht des OLG Hamm ist der Anwalt dabei nicht nur verpflichtet, auf die Frist des § 845 Abs. 2 ZPO zu achten und eine ausreichende Fristenkontrolle durchzuführen.
Rz. 908
Vielmehr soll der Anwalt nach Auffassung des OLG Hamm für die Lesbarkeit der Vollstreckungsunterlagen Sorge tragen und stets nicht auszuschließende Verzögerungen durch Fehler oder Versäumnisse der Gerichte entgegenwirken, indem er nicht nur auf die Eilbedürftigkeit und das Datum des Fristablaufs deutlich hinweist, sondern bei drohendem Fristablauf sogar Nachforschungen beim Vollstreckungsgericht anstellt.
Rz. 909
Der Aspekt der Lesbarkeit dürfte mit Rücksicht auf die fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten nur noch bedingt haftungsträchtig sein. Er soll aber zum Anlass für den Hinweis genommen werden, dass seit dem 1.4.2016 nach § 753 Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 1 ff. Gerichtsvollzieherformular-VO – mit Ausnahme bloßer Zustellaufträge und Beitreibungsaufträge hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Forderungen – Formularzwang herrscht, dessen Nichtbeachtung zur Folge hat, dass Vollstreckungsaufträge nicht ausgeführt und als unzulässig zurückgewiesen werden. Das kann zeitliche Verzögerungen nach sich ziehen, die zur Uneinbringlichkeit der gegenständlichen Forderung führen.
Rz. 910
Daneben sind Anwälte gehalten, die Zwangsvollstreckung möglichst effektiv zu betreiben. Daher wurde es als pflichtwidrig eingestuft, wenn ein Anwalt nach einer erfolglosen Taschenpfändung sofort einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt hat anstatt auf eine eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO hinzuwirken. Ablaufverzögerungen kann mit einer Vorpfändung nach § 845 ZPO begegnet werden (s. Rdn 907).
Rz. 911
Bei entsprechenden Anhaltspunkten kann sogar der taktische Hinweis und Rat veranlasst sein, auf Ansprüche zu verzichten, etwa wenn diese erst nach einer langwierigen Beweisaufnahme etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bewiesen sein werden. Denkbar – und trotz der Möglichkeit, dass Vorbehaltsurteile im Nachverfahren aufgehoben werden können, auch empfehlenswert – ist es auch, auf die besonderen Verfahrensarten des Urkunden- oder Scheckprozesses zurückzugreifen, um rasch einen vollstreckbaren Titel zu erlangen.
Rz. 912
Neben diesen Prozessförderungspflichten kann auch die Obliegenheit bestehen, auf eine möglichst genaue Aufklärung der Vermögensverhältnisse des potentiellen Schuldners hinzuwirken, etwa indem man Informationen über Kreditauskünfte oder sonstige Quellen (bspw. Schuldner- und Vermögensverzeichnisse nach §§ 802k, 882b, 882h Abs. 1 ZPO Internet, Detektive usw.) beschafft. Denn davon kann es abhängen, ob die kostenträchtige Fortset...