Rz. 322
Verkehrsrechtliche Bedeutung hat nach dem Haftpflichtgesetz vor allem die Haftung aus dem Betrieb einer Schienenbahn nach § 1 HPflG. Danach ist der Betriebsunternehmer einer Schienen- oder Schwebebahn dem Geschädigten, der beim Betrieb einer solchen Bahn verletzt oder getötet wird oder dessen Sache beschädigt wird, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Rz. 323
Das HPflG normiert damit eine Gefährdungshaftung für Schienenbahnen, die neben eine Verschuldenshaftung nach dem BGB tritt (§ 12 HPflG).
I. Voraussetzungen
1. Schienenbahn
Rz. 324
Eine Schienenbahn ist eine dem "öffentlichen oder privaten Verkehr dienende Bahn, die sich auf Schienen bewegt", wobei gleichgültig ist, mit welcher Kraft die Bahn betrieben wird. Schienenbahnen sind also Eisenbahnen, elektrische Straßenbahnen, Schmalspurbahnen, Untergrundbahnen, aber auch Magnetbahnen. Ausdrücklich in die Haftung einbezogen sind darüber hinaus Schwebebahnen.
2. Betrieb
Rz. 325
Die Gefährdungshaftung nach dem HPflG greift nur dann ein, wenn sich der Unfall bei dem Betrieb einer der vorbezeichneten Bahnen ereignet hat. Entscheidend ist dabei, dass der Unfall dem Bahnbetrieb zuzurechnen ist.
Rz. 326
Besteht dabei zwischen einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung und einem Schadensereignis ein örtlich und zeitlich ursächlicher Zusammenhang, hat sich der Unfall stets bei dem Betrieb ereignet (BGH NJW 1987, 2445).
Rz. 327
Beispiel
Ein Zugreisender lehnt sich bei einer Geschwindigkeit von 100–140 km/h aus dem offenen Fenster heraus. Hierbei wird er von einem Gegenstand am Kopf getroffen, der von einem Mitreisenden aus dem Zug geworfen wurde (BGH NJW 1987, 2445).
Rz. 328
Darüber hinaus tritt eine Haftung nach dem HPflG auch dann ein, wenn ein innerer Zusammenhang mit einer dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahr vorliegt.
Rz. 329
Beispiel
Ein Fahrgast wird durch die automatisch schließenden Türen verletzt, die zuschlagen, obwohl er noch zwischen ihnen steht.
II. Haftungsausschluss
1. Höhere Gewalt
Rz. 330
Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht worden ist (§ 1 Abs. 2 HPflG). Zum Begriff der höheren Gewalt siehe die Ausführungen zur Halterhaftung nach § 7 Abs. 2 StVG (vgl. oben Rdn 244 ff.).
Rz. 331
Der Betreiber der Bahn kann sich allerdings nur dann auf höhere Gewalt berufen, wenn die Folgen dieses Ereignisses mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht zu verhüten waren (BGH NJW 1986, 2312).
Rz. 332
Beispiel
Wenn im obigen Fall des herauslehnenden Reisenden ein außenstehender Dritter den Gegenstand gegen den Zug geworfen hätte, wäre dies dem Betreiber der Bahn nicht zuzurechnen.
2. Entlastungsbeweis
Rz. 333
Auch der Schienenbahnbetreiber kann sich seit dem 1.8.2002 nach § 1 Abs. 2 HPflG nur noch bei höherer Gewalt entlasten, nicht mehr jedoch durch den Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses.
Rz. 334
Daher ist auch die frühere Voraussetzung einer Entlastung wegen unabwendbaren Ereignisses gem. § 1 Abs. 2 S. 2 HPflG a.F., dass die Schienenbahn innerhalb des Verkehrsraums einer öffentlichen Straße betrieben wird, seit dem 1.8.2002 obsolet geworden.
3. Mitverschulden
Rz. 335
Ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten ist nach § 4 HPflG i.V.m. § 254 BGB zu berücksichtigen.
III. Haftungsumfang
Rz. 336
Der Umfang der Schadensersatzansprüche ergibt sich aus den §§ 5 bis 8 HPflG, wobei nach § 7 HPflG die Ersatzpflicht für Personenschäden nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden kann.
Rz. 337
Die Haftung für Sachschäden ist auf 300.000 EUR begrenzt, auch wenn durch ein und dasselbe Ereignis mehrere Sachen beschädigt werden (§ 10 HPflG). Da gem. § 10 Abs. 2 HPflG auch bei mehreren geschädigten Personen die Gesamtsumme von 300.000 EUR gilt und bei einer Summe sämtlicher Sachschäden eines Schadenereignisses von über 300.000 EUR nur eine anteilige Entschädigung erbracht wird, wird deutlich, dass es sich um eine für heutige Zeiten völlig unangemessene Höchstsumme handelt.
Rz. 338
Bei Personenschäden oder Tötung einer Person beträgt die Haftungshöchstgrenze für jede Person 600.000 EUR bzw. 36.000 EUR Rentenleistungen pro Jahr (§ 9 HPflG).
IV. Haftungsabwägung
Rz. 339
Bei der Haftungsabwägung ist wegen der Schienengebundenheit und der erheblich längeren Bremswege von Schienenfahrzeugen die Betriebsgefahr des Schienenfahrzeugs erheblich höher anzusetzen als die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs (BGH VersR 1959, 462; OLG Hamburg VersR 1983, 740; OLG Hamm VersR 1983, 465).
Rz. 340
Auch das HPflG kennt nämlich eine dem § 17 StVG entsprechende Norm der Haftungsabwägung in § 13 HPflG. Die Haftungsabwägung bei einem Zusammenstoß einer Eisenbahn mit einem Kraftfahrzeug führt jedoch zum gleichen Ergebnis, unabhängig davon, ob diese Haftungsabwägung nach § 17 StVG oder § 13 HPflG erfolgt.