Rz. 202
Nach § 832 Abs. 1 BGB haftet derjenige, der kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, für die Schäden, welche die beaufsichtigte Person Dritten widerrechtlich zufügt.
Rz. 203
Bei Unfällen von Personen, die nach §§ 827, 828 BGB nicht verantwortlich sind, stellt § 832 BGB zwei Vermutungen auf:
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dass der Aufsichtspflichtige seine Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt hat, weil er die im konkreten Fall erforderlichen Handlungen ganz oder teilweise unterließ |
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dass die Verletzung der Aufsichtspflicht für den entstandenen Schaden kausal war. |
Rz. 204
Die Aufsichtspflicht kann kraft Gesetzes oder durch Vertrag begründet werden.
Rz. 205
Kraft Gesetzes sind beispielsweise aufsichtspflichtig die Eltern gegenüber dem minderjährigen Kind (§§ 1626 ff. BGB), der Vormund gegenüber dem Mündel (§§ 1793, 1797, 1909 ff. BGB), Ausbilder gegenüber Auszubildenden (§§ 6, 9 Berufsbildungsgesetz), Lehrer an öffentlichen Schulen (Palandt-Sprau, § 832 BGB Rn 5) und der Betreuer gegenüber dem zu Betreuenden (§ 1897 BGB).
Rz. 206
Die bloße Feststellung einer Milieu-Schädigung eines Minderjährigen reicht nicht aus, um den Aufsichtspflichtigen zu einer Überwachung auf Schritt und Tritt zu verpflichten. Es müssen vielmehr Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Minderjährigen als Folge besonderer Aggressionsbereitschaft oder sonstiger Verhaltensstörungen mit gefährlichen Streichen zu rechnen ist (BGH zfs 1997, 290). Zu den Anforderungen an die elterliche Aufsichtspflicht bei einem geistig retardierten und schwer verhaltensgestörten Kind mit ausgeprägter Aggressionsbereitschaft siehe BGH zfs 1996, 8.
Rz. 207
Der Inhalt der Aufsichtspflicht bestimmt sich nach dem Maß der objektiv gebotenen Sorgfalt, die sich wiederum am Alter und dem persönlichen Charakter sowie nach der Vorhersehbarkeit eines möglicherweise schädigenden Verhaltens ausrichtet. Entscheidend ist, was von einem verständigen Aufsichtspflichtigen üblicherweise an Vorkehrungsmaßnahmen erwartet werden kann (BGH NJW 1984, 2574 u. NJW 1993, 1003). Der Aufsichtspflichtige haftet nicht für einen Exzess des Aufsichtsbedürftigen, dessen Folgen auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würden (OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2002, 236).
Rz. 208
Der Aufsichtspflichtige kann zwar grundsätzlich seine Aufsichtspflicht durch Vertrag auf Dritte übertragen, er wird hierdurch jedoch von seiner eigenen Kontrollpflicht nicht gänzlich befreit (BGH VersR 1968, 903).
Rz. 209
Der Aufsichtspflichtige muss gegenüber den beiden gesetzlichen Vermutungen den Entlastungsbeweis führen, wenn er sich von der Haftung befreien will (vgl. LG Saarbrücken zfs 2004, 9).
Beachte
Die Anhebung der Haftung von Kindern im motorisierten Verkehr auf das vollendete zehnte Lebensjahr ist zum Schutz der Kinder gedacht und spricht nicht für eine Ausweitung der Aufsichtspflicht der Eltern (OLG Hamm NJW-RR 2002, 236).