Rz. 747
Jedem jungen Menschen ist grundsätzlich zuzubilligen, dass er sich über seine Fähigkeiten irrt oder falsche Vorstellungen über den gewählten Beruf hat. Die Rechtsprechung billigt daher Jugendlichen eine Orientierungsphase zu, in der sie (zunächst) auch Fehlentscheidungen bezüglich ihres Ausbildungsziels und/oder Ausbildungsortes treffen, um ihre endgültige Neigung und Begabung festzustellen. Die Orientierungsphase dient gerade dazu, einem in der Frage der Berufswahl unsicheren jungen Menschen die Entscheidung für einen Beruf zu erleichtern. Je älter das Kind jedoch ist, und je eigenständiger es seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg.
Rz. 748
Grundsätzlich sind Orientierungsphasen nach individuellen Gesichtspunkten zu bemessen. Dies gilt auch für die Dauer der Orientierungsphase. Diese richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Maßgebende Kriterien sind dabei Alter, Entwicklungsstand und die gesamten Lebensumstände des auszubildenden Kindes. Die Orientierungsphase soll dazu dienen, einem in der Frage der Berufswahl unsicheren jungen Menschen die Entscheidung für einen Beruf zu erleichtern. Absolviert das Kind nach Abschluss der Schulausbildung ein Berufsgrundbildungsjahr, dann stellt dies Teil einer angemessenen Berufsausbildung dar. Anders als ein Praktikum oder eine (sonstige) Berufsfindungsmaßnahme führt das Berufsgrundbildungsjahr zu einer Verkürzung der Lehrzeit und erhöht gleichzeitig die Chancen auf die Erlangung eines Ausbildungsplatzes.
Rz. 749
Die Orientierungsphase nach Abschluss der Schule ist jedenfalls bei einem Abiturienten spätestens mit den Ablehnungsbescheiden der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen beendet. Bei bereits begonnenem Studium sind Grenzbereich für eine angemessene Orientierungsphase die ersten drei Semester, so dass ein Wechsel des Studienfachs ohne zwingenden Grund in der zweiten Hälfte des Studiums überhaupt ausgeschlossen ist.
Rz. 750
Praxistipp
Ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt besteht nicht mehr, wenn nach 2½ Jahren das dritte Studium begonnen wird. Es stellt eigenes Risiko des Kindes dar, wenn es notwendige Prüfungen endgültig nicht besteht: Ein anschließender Wechsel der Ausbildung kommt nicht (mehr) in Betracht.
Rz. 751
Wird die (Erst-)Ausbildung infolge Schwangerschaft und der sich daran anschließenden Kindesbetreuung verspätet begonnen, führt dies nicht zu einem Verlust des Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt, solange die Ausbildung nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes – gegebenenfalls unter zusätzlicher Berücksichtigung einer angemessenen Übergangszeit – aufgenommen wird.
Rz. 752
Gestattet ist auch nach einer Lehre der Wechsel von einem ursprünglich geplanten, in fachlichem Zusammenhang stehenden Studium in ein anderes. Allerdings gebieten es die schutzwürdigen Belange des Unterhaltsschuldners, dass er sich möglichst frühzeitig darauf einrichten kann, wie lange er die Unterhaltslast zu tragen hat. Ein Ausbildungswechsel ist umso eher zu akzeptieren, je früher er stattfindet. Dass das Kind erst mit 21 Jahren das Abitur absolviert, muss dem Ausbildungsunterhaltsanspruch jedenfalls dann nicht entgegenstehen, wenn die Schulausbildung auch noch von einem einjährigen Aufenthalt im Ausland begleitet war.
Rz. 753
Praxistipp
Kommt das Kind diesem Pflichtenkreis nicht nach, besteht bis zur Aufnahme einer ordnungsgemäßen Berufsausbildung kein Anspruch auf Unterhalt.