Rz. 818

Haben Eltern ihrem Kind eine zwar abgeschlossene, jedoch weder optimale noch begabungs- und/oder neigungsbezogene – auch mehrstufige – Ausbildung gewährt, dann schulden sie regelmäßig (noch) eine weitere Ausbildung als Erstausbildung. Hier kommen insb. folgende Fallgestaltungen in Betracht:

die erste Ausbildung beruhte auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung[1150] bzw. Neigungen des Kindes durch seine Eltern; sein Begabungspotential wurde also nicht hinreichend ausgeschöpft,[1151]
die Eltern haben dem Kind eine angemessene Ausbildung versagt und es in eine Ausbildung gedrängt, die seinen Begabungen und Neigungen nicht hinreichend Rechnung trägt, und Anhaltspunkte für eine wesentlich höhere Ausbildungsfähigkeit bestanden/bestehen, wenn das Kind sodann die erste Ausbildung nur auf Wunsch der Eltern beendet hat,[1152]
die Eltern haben darauf bestanden, dass die begonnene Ausbildung abgeschlossen wird, obwohl die falsche Berufswahl alsbald erkannt worden ist,[1153]
gestörte häusliche Verhältnisse (Scheidungskinder) haben sich nachteilig auf die schulische Entwicklung des Kindes ausgewirkt.[1154]
 

Rz. 819

Der BGH hat derjenigen Fallgruppe, in denen Eltern ihrem Kind ausnahmsweise auch eine zweite Ausbildung finanzieren müssen, wenn sie es in einen unbefriedigenden, seinen Begabungen nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt haben, diejenige Fallgruppe gleichgestellt, in denen dem Kind eine angemessene Ausbildung verweigert worden ist und es sich aus diesem Grund zunächst für einen Beruf entschieden hat, der seiner Begabung und seinen Neigungen nicht entspricht. Dabei hat der BGH ausdrücklich ausgeführt, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von dem Grundsatz der Verpflichtung zur Finanzierung nur einer Ausbildung keineswegs als abschließender, andere Fallgruppen ausschließender Katalog verstanden werden können. Eine fortdauernde Unterhaltspflicht der Eltern hat der BGH deswegen auch für diejenigen Fälle angenommen, in denen die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung der Begabung des Kindes beruht. Auch in solchen Fällen haben die Eltern ihre Verpflichtung zur Finanzierung einer angemessenen Berufsausbildung noch nicht in rechter Weise erfüllt und sind im Einzelfall verpflichtet, dem Kind ausnahmsweise eine angemessene zweite Ausbildung zu finanzieren.[1155]

[1151] BGH FamRZ 1991, 322; OLG Stuttgart FamRZ 1996, 1435; OLG Bamberg FamRZ 1990, 790.
[1152] BGH FamRZ 1980, 1115; BGH FamRZ 1989, 853; BGH FamRZ 1991, 322 (Nr. 221).
[1153] BGH FamRZ 1991, 931.
[1154] BGH FamRZ 1981, 437.

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