Rz. 475
Bei nur teilweise gegebener oder gänzlich fehlender Leistungsfähigkeit des erstrangig haftenden Verwandten (Primärschuldner) bestimmt § 1607 Abs. 1 im Wege der Ausfallhaftung die Unterhaltspflicht des nach dem primär Haftenden Verwandten. Der nachrangig haftende Verwandte (Sekundärschuldner) hat dann den geschuldeten Unterhalt zu gewähren. Aufgrund der Ausfallhaftung des § 1607 Abs. 1 haftet ein gleichrangiger Verwandter, z.B. der andere Elternteil, allein, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil gar nicht oder nur eingeschränkt leistungsfähig ist. Die (Ausfall-)Haftung des betreuenden Elternteils beginnt nach § 1607 Abs. 1 bereits dann, wenn der Eigenbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils gefährdet ist.
Rz. 476
Beispiel
Eine wiederverheiratete Mutter, deren eigener angemessener Unterhalt durch die neue Ehe bzw. Familie gesichert ist, betreut minderjährige und/oder privilegiert volljährige Kinder aus der ersten Ehe. Der gegenüber den minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindern barunterhaltspflichtige – von der Mutter geschiedene – Kindsvater ist nicht leistungsfähig.
Die betreuende Mutter haftet dann – auch – für den Barunterhalt der minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kinder aus erster Ehe nach § 1607 Abs. 1. Im Rahmen dieser Unterhaltsverpflichtung gegenüber den minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindern aus erster Ehe trifft sie eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, deren Umfang jedoch auch von den Belangen der neuen Familie, insbesondere denen weiterer betreuungsbedürftiger Kinder, bestimmt wird.
Rz. 477
Der Umfang der Ausfallhaftung nach § 1607 Abs. 1 dauert solange und geht soweit, wie der gleichrangig (Elternteile) oder vorrangig haftende Verwandte leistungsunfähig ist. Bei Eintritt – auch teilweiser – Leistungsfähigkeit des erstrangig haftenden Verwandten endet die Unterhaltsverpflichtung des nachrangig Haftenden nach § 1607 Abs. 1. Es besteht für den nachranging haftenden Verwandten, der nach § 1607 Abs. 1 Unterhalt geleistet hat, keine Möglichkeit, diese Zahlungen erstattet zu erhalten, jedwede Regressansprüche scheiden aus. Der erstrangig haftende Unterhaltsschuldner ist nicht leistungsfähig. Daher liegen in diesem Unterhaltsrechtsverhältnis bereits die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor, der (Unterhalts-)Anspruch gegen die erstrangig haftenden Anspruchsgegner besteht nicht. Allerdings sind die Anspruchsvoraussetzungen gegen den nachrangigen Unterhaltsschuldner gegeben, der Anspruch auf Zahlung von Unterhalt gegen diesen besteht. Er erfüllt durch Unterhaltsleistung also eine eigene – originäre – Unterhaltspflicht und leistet nicht für einen – vorrangig haftenden – Anderen.
Rz. 478
Praxistipp
Im Zusammenhang mit der originären Unterhaltspflicht des nachrangig haftenden Verwandten ist darauf hinzuweisen, dass auch gegenüber diesem für die Geltendmachung von Unterhaltsrückständen die Verzugsvoraussetzungen des § 1613 vorliegen müssen. Alleine die Inverzugsetzung des erstrangig haftenden Verwandten reicht nicht aus, um die Haftung des nachrangig haftenden Verwandten für rückständigen Unterhalt herbeizuführen. Da es sich um eine eigene Verbindlichkeit des nachrangig haftenden Verwandten handelt, muss dieser ebenfalls in Verzug gesetzt werden.
Rz. 479
Besteht der Unterhaltsanspruch mangels Vorliegen der Voraussetzung, z.B. wegen fehlender Leistungsfähigkeit, auch gegen den – ersten – nachrangig haftenden Verwandten nicht, so ist die "Ausfallhaftungskette" zum nächsten nachrangig haftenden Verwandten weiterzuführen. Dies gilt gegebenenfalls bei nur teilweise vorhandener Leistungsfähigkeit für den Restanspruch.