Rz. 113

Selbst wenn das Kind sich um einen Ausbildungsplatz rechtzeitig[150] bemüht hat, entsteht für das Kind ein Zeitraum Schulabschluss und Ausbildungsbeginn als Freizeit. Diesen muss das Kind mit einer Beschäftigung überbrücken.[151]

 

Rz. 114

Nach Abschluss der Schulausbildung muss das Kind eine Berufsausbildung aufnehmen. Unterlässt es das und kann keine weitreichenden Bemühungen um einen Ausbildungsplatz nachweisen, verletzt es nachhaltig seine Ausbildungs- und Erwerbsobliegenheit.[152]

 

Rz. 115

 

Praxistipp

Es ist dem Kind zuzumuten, sich im Hinblick auf den absehbar endenden Schulbesuch rechtzeitig eine Ausbildungsstelle zu suchen und anzutreten. Kommt das Kind seiner Erwerbsobliegenheit nicht nach, können ihm im Rahmen der Unterhaltsberechnung eigene – fiktive – Einkünfte angerechnet werden, da selbst vor dem denkbaren Einwand des § 1611 Abs. 2 wegen des Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit fiktive Einkünfte anzurechnen sind.[153]

[150] OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 442.
[151] OLG Koblenz JAmt 2004, 153; OLG Köln FuR 2005, 570.
[152] OLG Düsseldorf FamRZ 2004, 1890.
[153] Weinreich/Eder, § 1610 Rn 124 m.w.N.

(1) Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG

 

Rz. 116

Mit erfolgreicher Beendigung der allgemeinen Schulausbildung muss das Kind sich um eine angemessene Vorbildung zum Beruf, also um die Aufnahme einer Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG bemühen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Davon sind alle Maßnahmen erfasst, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind.[154]

 

Rz. 117

 

Praxistipp

Keine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG ist das Ableisten eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres. Etwas anderes gilt nur, wenn dieses Jahr der Vorbereitung auf eine konkret angestrebte Berufsausbildung dient.[155]

 

Rz. 118

Wird die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres hingegen als Voraussetzung für die angestrebte Ausbildung gefordert und dient sie dem Erreichen eines konkreten Berufsziels, so ist das Kind während dieser Zeit anspruchsberechtigt.[156]

 

Rz. 119

 

Praxistipp

Eine Ausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG ist grundsätzlich die Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler.[157]

[154] Weinreich/Eder, § 1610 Rn 126.
[155] So auch der Gesetzgeber in BT-Drucks IV/2138 S. 2; OLG Celle FamRB 2011, 364; OLG Naumburg FamRZ 2008, 86; OLG München FamRZ 2002, 1425; OLG Zweibrücken NJW-RR 1994, 1225.
[156] OLG Naumburg FamRZ 2008, 86; OLG Schleswig OLGR 2008, 196; OLG München FamRZ 2002, 1425.

(2) Orientierungsphase

 

Rz. 120

Bei der Wahl des Berufsziels und der hierfür erforderlichen Ausbildung ist dem Kind eine angemessene Orientierungsphase zuzubilligen, bis es sich für die Aufnahme einer seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Ausbildung entscheidet und sich um eine geeignete Ausbildungsstelle bemüht.[158]

Während dieser Orientierungsphase gesteht die Rechtsprechung dem Kind Fehlentscheidungen hinsichtlich Ausbildungsziel und/oder Ausbildungsort zu, ohne hieraus unterhaltsrechtliche Konsequenzen, wie die Versagung von Unterhalt, zu ziehen. Sinn und Zweck dieser Zeit ist gerade, einem in der Frage der Berufswahl unsicheren jungen Menschen die Entscheidungsfindung zu ermöglichen.[159] Üblicherweise werden während dieser Zeit Praktika bei verschiedenen Unternehmen in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen abgeleistet. Sofern mit der Ableistung eines berufsbezogenen Praktikums die reguläre Wochenarbeitszeit nicht erreicht wird, besteht für das Kind nur ein Anspruch auf Teilunterhalt.[160]

 

Rz. 121

 

Praxistipp

Die Dauer dieser Orientierungsphase ist nicht festgeschrieben und bemisst sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, wobei die konkreten Aktivitäten des Kindes während dieser Zeit in Betracht zu ziehen sind. Auch das Ableisten eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres kann als Orientierungsphase angesehen werden.[161]

 

Rz. 122

Sofern das Kind nach Abschluss der Schulausbildung ein Berufsgrundbildungsjahr absolviert, ist dies Teil einer angemessenen Berufsausbildung, da damit die Lehrzeit verkürzt und die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhöht wird.[162]

 

Rz. 123

Kommt das Kind während der Orientierungsphase seinen Pflichten nicht nach, kann es den Unterhaltsanspruch bis zur Aufnahme einer ordnungsgemäßen Ausbildung dem Grunde nach verlieren. Jedenfalls verstößt es gegen seine Erwerbsobliegenheit mit der Folge, dass ihm eigene – fiktive – Einkünfte angerechnet werden.

[158] BGH FamRZ 2006, 1100; OLG Köln OLGR 2005, 40; OLG Naumburg FamRZ 2008, 86.
[159] BGH FamRZ 1987, 470; FamRZ 1993, 1057.
[160] OLG Frankfurt/Main NJW 1990, 1798.
[162] OLG Braunschweig FamRZ 2011, 119.

(3) Konkretes Berufsziel

 

Rz. 124

Die Eltern eines Kindes schulden nur Unterhalt und Kosten für die Ausbildung zu einem berufsqualifizierenden Abschluss für einen anerkannten Beruf. Ausbildungsziel...

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