Rz. 364

Die Unterhaltsschuldner müssen grundsätzlich alle verfügbaren Mittel für den eigenen und den Unterhalt der minderjährigen unverheirateten Kinder sowie privilegiert Volljährigen gleichmäßig verwenden.

Aus der verschärften Haftung ergeben sich für die Unterhaltsschuldner über § 1603 Abs. 1 hinausgehende Verpflichtungen. Unter Umständen wird die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners nicht nur durch seine tatsächlich erzielten Einkünfte bestimmt. Vielmehr werden auch solche – fiktiven – Einkünfte bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit herangezogen, die der Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit hätten erzielen können bzw. müssen.

 

Rz. 365

Der Unterhaltsschuldner muss sich, um seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit gerecht zu werden, intensiv, das heißt unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten, um die Erlangung einer hinreichend entlohnten, vollschichtigen Arbeitsstelle bemühen.[485] Daher hat er die ihm möglichen und zumutbaren[486] Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut als möglich einzusetzen[487] und jede sich bietende Erwerbsmöglichkeit, gleichgültig ob zumutbar – etwa neben einer Umschulungsmaßnahme[488] sowie eine Beschäftigung neben einer vollschichtigen Tätigkeit[489] – oder unzumutbar, z. B unter seinem Ausbildungsniveau[490] und/oder Aushilfs- oder Gelegenheitstätigkeiten[491] jedweder Art, auszuüben.

 

Rz. 366

 

Praxistipp

Sofern ein Fall der gesteigerten Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners vorliegt, kann dessen tatsächliche Erwerbstätigkeit am vorgeschilderten Pflichtenkatalog abgeprüft werden. Bleibt der Unterhaltsschuldner hinter diesem zurück, sind ihm gegebenenfalls fiktive Einkünfte zuzurechnen.

 

Rz. 367

Der verschärft haftende Unterhaltsschuldner muss seine gesamte Arbeitskraft bestmöglich ausnutzen,[492] da er für den minderjährigen oder privilegiert volljährigen Unterhaltsgläubiger nicht nur den Mindestunterhalt sicherzustellen hat, sondern vielmehr für den angemessenen Unterhalt Sorge zu tragen hat.[493] Aus dieser Vorgabe ergeben sich u.a. folgende Pflichten des verschärft haftenden Unterhaltsschuldners:

Er ist verpflichtet, vollschichtig erwerbstätig zu sein.[494] Insoweit sind die Grundrechte des Unterhaltsschuldners auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) und der freien Berufswahl (Art. 12 GG) eingeschränkt.[495]
Er muss bei Krankheit die zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft notwendigen Behandlungen und Therapien vornehmen (lassen).[496]
Im Mangelfall muss er über die Altersgrenze hinaus erwerbstätig sein.[497]
Er muss eine Nebentätigkeit zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit aufnehmen.[498]
 

Rz. 368

 

Praxistipp

Auch soweit der verschärft haftende Unterhaltsschuldner eigene Kinder betreut, trifft ihn die gesteigerte Erwerbsobliegenheit.[499]

 

Rz. 369

Die Verletzung der gesteigerten Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners führt dazu, dass ihm fiktive Einkünfte in der Höhe angerechnet werden, wie er sie hätte erzielen können.

 

Rz. 370

 

Praxistipp

Es ist Aufgabe des anwaltlichen Beraters des Unterhaltsschuldners, ihn auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit, deren Inhalt sowie die Konsequenzen einer Obliegenheitsverletzung hinzuweisen.

 

Rz. 371

Als Ausgestaltung der verschärften Haftung treffen den Unterhaltsschuldner insbesondere folgende Obliegenheiten:

[485] OLG Stuttgart FamRZ 2012, 315; OLG Brandenburg FamRZ 2011, 37; OLG Hamm FamRZ 2001, 559.
[487] OLG Thüringen OLGR 2003, 421.
[488] OLG Hamm EzFamR aktuell 2000, 201.
[489] OLG Köln EzFamR aktuell 1997, 186.
[491] BGH FamRZ 1987, 270; OLG Köln FamRZ 2002, 1426; OLG Thüringen OLGR 2003, 421.
[492] Eschenbruch/Henjes, Kap. 4 Rn 341.
[495] BGH FamRZ 1981, 341.
[498] OLG Schleswig FamRZ 2007, 1905.
[499] OLG Hamm FamRZ 2007, 37.

aa) Wechsel des Arbeitsplatzes

 

Rz. 372

Um seine Arbeitskraft bestmöglich auszunutzen, kann es für den Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit angezeigt sein, den Arbeitsplatz, sogar den Wohnort und/oder Beruf[500] zu wechseln. Spiegelbildlich kann vom Unterhaltsschuldner verlangt werden, einen Arbeitsplatz-, Wohnorts und/oder Berufswechsel zu unterlassen, sofern ein solcher zu geringeren Einkünften führt.[501]

 

Rz. 373

 

Praxistipp

Sofern der Unterhaltsschuldner einer seiner Ausbildung entsprechenden Tätigkeit mit angemessener Vergütung nachgeht, kann von ihm nicht verlangt werden umzuziehen, um eine höhere Vergütung zu erzielen, wenn damit eine Einschränkung des Umgangs einhergeht.[502]

 

Rz. 374

In der Vergangenheit ist die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung zu den Pflichten des verschärft haftenden Unterhaltsschuldners geradezu ausgeufert.[503] Von Seiten des BVerfG wurde klargestellt, dass die übermäßige Ausweitung dieser Pflichten des Unterhaltsschuldners nicht verfassungsrechtlich haltbar ist.[504] Das BVerfG ve...

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