Rz. 421
Alleine der Umstand, dass die Mutter wieder ein Kind geboren hat und daher nicht berufstätig ist, ermöglicht es ihr nicht, sich im Unterhaltsrechtsverhältnis gegenüber ihrem älteren Kind, das vom Vater betreut wird, auf Leistungsunfähigkeit zu berufen. Sie ist grundsätzlich zur Zahlung von Barunterhalt verpflichtet, da der Vater seine Unterhaltspflicht durch Betreuung erfüllt (§ 1606 Abs. 3 Satz 1).
Rz. 422
Zur Beurteilung dieser Fälle ist danach zu differenzieren, ob die Kindsmutter als Unterhaltsschuldner wiederverheiratet ist oder nicht.
Im Fall der Wiederverheiratung oder des Zusammenlebens mit dem Vater des nichtehelichen Kindes greifen die Grundsätze der sog. "Hausmannrechtsprechung" des BGH, die sich zwischenzeitlich auch auf den Fall erstreckt, dass die Unterhaltsschuldnerin mit dem Vater ihres nichtehelichen Kindes in fester Partnerschaft zusammenlebt.
Rz. 423
In allen anderen Fällen kann sich die Unterhaltsschuldnerin gegenüber dem erstgeborenen minderjährigen Kind nicht auf die Betreuung des zweitgeboren nichtehelichen Kindes beschränken. Diese apodiktische Auffassung erscheint im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG, wonach die Unterhaltsverpflichtung des Unterhaltsschuldners gegenüber dem erstgeborenen – auch minderjährigen – Kind keinesfalls höher zu bewerten ist, als die Bedeutung und Tragweite des Elternrechts gegenüber dem zweitgeboren Kind, zumindest als bedenkenswürdig.
Rz. 424
Soweit insofern die gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Schuldners im Unterhaltsrechtsverhältnis gegenüber dem erstgeborenen minderjährigen Kind bemüht wird, fehlt es m.E. an der unterhaltsrechtlichen Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Unterhaltsschuldners, sodass eine Anrechnung von fiktiven Einkünften, die tatsächlich nicht bezogen werden, ausscheiden muss. Auch der Praxistipp, es sei Aufgabe des Unterhaltsschuldners für die Betreuung des Kleinkindes aus der neuen Verbindung durch Dritte, z.B. eine Tagesmutter, durch Verwandte, durch ihren Lebensgefährten, Ganztagsschule oder durch einen Hort, zu sorgen, ist durchaus kritisch zu betrachten.
Zum Einen muss ein entsprechendes Betreuungsangebot zur Verfügung stehen. Dieses muss überhaupt für den Unterhaltsschuldner bezahlbar sein, sofern der barunterhaltspflichtige Vater des zweitgeborenen Kindes nicht leistungsfähig bezüglich des Mehrbedarfs der Betreuungskosten ist. Zum Anderen erscheint es zweifelhaft, dass die Mutter als Unterhaltsschuldner zur Veranlassung einer umfassenden Fremdbetreuung des zweitgeborenen minderjährigen Kindes mit allen Schwierigkeiten, die damit einhergehen, wie z.B. Schließzeiten der Betreuungseinrichtung, Krankheitszeiten des Kindes sowie des betreuenden Dritten usw., gezwungen werden soll. Nach den gesetzlichen Wertungen im Rahmen des § 1570 und § 1615l Abs. 2 kann der Elternteil grundsätzlich frei entscheiden, ob er sein Kind selbst betreuen oder einer Fremdbetreuung überlassen will. Vielmehr soll nach Auffassung des BGH in den ersten drei Lebensjahren des Kindes eine Betreuung durch einen Elternteil regelmäßig geboten sein. Diese gesetzgeberische und höchstrichterliche Bewertung ist an dieser Stelle m.E. zu beachten.
Rz. 425
Praxistipp
Bei einem so gelagerten Sachverhalt stellt sich immer die Frage nach der Ersatzhaftung des betreuenden Kindsvaters nach § 1607, sofern dieser berufstätig ist. Gegebenenfalls müssen diesem unter Umständen fiktive Einkünfte zugerechnet werden.
Rz. 426
Sofern die Mutter als Unterhaltsschuldnerin selbst neben einer Erwerbstätigkeit Unterhaltszahlungen nach § 1615l erhält, ist insoweit ihr notwendiger Selbstbehalt gesichert. Somit steht das Einkommen aus ihrer Berufstätigkeit, nach Abzug der Betreuungskosten, sofern diese nicht vom Kindsvater als Mehrbedarf übernommen werden, in voller Höhe für den Unterhalt des erstgeborenen minderjährigen Kindes zur Verfügung. Gleiches gilt spiegelbildlich für den Fall, dass der gegenüber einem erstgeborenen minderjährigen Kind barunterhaltspflichtige Vater sich auf die Betreuung seines minderjährigen zweitgeborenen Kindes beschränkt.