Rz. 179
Offenbar geht die Tendenz bei sich trennenden, bereits getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern dahin, auch weiterhin in vollem Umfang ihrer Verantwortung gegenüber dem minderjährigen Kind in jedweder Form nachkommen zu wollen. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, entwickelte sich in der jüngeren Vergangenheit das Wechselmodell, bei dem das Kind abwechselnd mit dem dann jeweils betreuenden Elternteil lebt. Der Begriff des "Wechsel" ergibt sich aus dem Wechsel des betreuenden Elternteils. Nicht zwingend stellt sich – auch nicht das echte – Wechselmodell so dar, dass das minderjährige Kind zwischen den Wohnungen des jeweiligen Elternteils in einem festgelegten Zeitrhythmus hin und her wechselt. Ebenso kann das minderjährige Kind in einer (familiengerechten) Wohnung verbleiben, die Eltern "wechseln" aus ihren Wohnungen im Rahmen des Zeitplans zum Kind, um die Betreuung im unterhaltsrechtlichen Sinn zu leisten ("Nestwechselmodell").
Rz. 180
Das Wechselmodell zieht für den anwaltlichen Berater eines Elternteils unterhaltsrechtliche Probleme nach sich, die nachfolgend behandelt werden.
Rz. 181
Ein echtes Wechselmodell liegt vor, wenn die getrennt lebenden Elternteile das minderjährige Kind weiterhin in Obhut haben und zwar dergestalt, dass bei keinem Elternteil der Schwerpunkt der tatsächlichen Förderung und Fürsorge liegt und keiner die Hauptverantwortung trägt. Für die Berechnung der Unterhaltsansprüche der Kinder ist davon auszugehen, dass auch das praktizierte Wechselmodell nicht zu einer – vollständigen – Befreiung von der Barunterhaltspflicht führt, da anderenfalls beide Elternteile vom Barunterhalt befreit wären, obwohl nur der Betreuungsbedarf des Kindes gedeckt ist.
Beide Eltern besorgen die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes durch Pflege, Verköstigung, aber insbesondere auch durch Gestaltung des Tagesablaufs, Erreichbarkeit bei Problemen und Zuwendung bei emotionalen Problemen. Dieses Erfordernis erfüllt das bloße Schließen von Betreuungslücken im Rahmen des Umgangs nicht. Daher wird deutlich, dass der reine Vergleich der Zeitspannen, zu welchen sich das Kind bei einem Elternteil aufhält, nicht ausreicht, um dem Begriff der "Obhut" i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 gerecht zu werden. Diesem Vergleich kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu, wobei die Beurteilung für das Wechselmodell nicht alleine hierauf zu beschränken ist. Es ist vielmehr auch auf den Inhalt und die Intensität der Betreuungsleistung abzustellen. Allerdings schadet die Hinzuziehung von Betreuungsleistungen Dritter der Annahme eines echten Wechselmodells nicht.
Rz. 182
Praxistipp
Grundsätzlich kann auch bei einer Betreuungsverteilung von 43 zu 57 % – wohl gerade noch – zumindest nach Auffassung des BGH von einem paritätischem Wechselmodell ausgegangen werden.
Die aktuelle oberlandesgerichtliche Rechtsprechung legt hinsichtlich der zeitlichen Komponente mittlerweile einen deutlich engeren Maßstab an. So soll ein echtes Wechselmodell bei einer Verteilung der Betreuungszeiten von 48,5 % zu 51,5 % noch angenommen werden können.
Rz. 183
Zu beachten ist, dass der Begriff der "Obhut" und vom betreuenden Elternteil organisierte und überwachte Fremdbetreuung durch Dritte sich nicht ausschließen, also mit "Obhut" nicht alleine und ausschließlich die vom Elternteil unmittelbar selbst geleistete Betreuung gemeint ist.
Rz. 184
Praxistipp
Ein solches – echtes – Wechselmodell ist nicht gegeben, wenn ein Elternteil nur einen über das übliche Maß hinausgehenden Umgang ausübt und die Hauptverantwortung für das minderjährige Kind beim anderen – betreuenden – Elternteil liegt. Allerdings kann der im Rahmen des erweiterten Umgangs wahrgenommene Betreuungsaufwand durch den Barunterhaltspflichtigen durch Herabstufung in der Düsseldorfer Tabelle Rechnung getragen werden.
Rz. 185
Bei Leistungsfähigkeit beider Elternteile ist – wie beim Volljährigenunterhalt – der Bedarf in der Regel aus dem addierten Einkommen beider Eltern zu ermitteln. Die durch die Ausübung des Wechselmodells bedingten Mehrkosten (z.B. Fahrtkosten, doppelte Wohnkosten usw.) sind dem Regelbedarf gerade nicht hinzurechnen. Der sich aus den addierten Einkommen der Eltern ergebende – erhöhte – Bedarf umfasst insbesondere die Mehrkosten des Wechselmodells. Das soll nach Auffassung des OLG Dresden auch für Doppelanschaffungen gelten. Eine andere Auffassung vertrat Müting, da schließlich der Bedarf des Kindes sich nach dem addierten Einkommen der Eltern bestimmt, so dass die sich aufgrund von Doppelanschaffungen ergebenden Mehrkosten bereits abgedeckt sind.
Rz. 186
Praxistipp
Der Mehrbedarf des Kindes liegt insbesondere in Wohnmehrkosten, Fahrtkosten und dem doppelten Erwerb persönlicher Gegenstände. Nicht erfasst werden jedoch die Kosten einer Nachmittagsbetreuung, die es dem betreuenden Elternteil ermöglicht, seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies soll grundsätzlich für solche Kosten gelten, die der Lebensführ...