Rz. 492
Wesentlicher Anwendungsbereich neben der Frage der Barunterhaltsverpflichtung des betreuenden Elternteils ist die Haftung der Großeltern für ihre Enkelkinder nach § 1607.
Das (Enkel-)Kind hat einen Unterhaltsanspruch gegen seine Großeltern, wenn und soweit die Leistungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils den Kindesunterhalt nicht oder nicht vollständig abdecken und Gleiches für den betreuenden Elternteil gilt. In § 1606 Abs. 3 Satz 2 wird das Rangverhältnis zwischen den Eltern minderjähriger Kinder geregelt, daher ergeben sich Auswirkungen dieser Norm auf die Ersatzhaftung Dritter nach § 1607 nur, wenn und soweit der Vorrang der Eltern als solches ausfällt.
Rz. 493
Praxistipp
Bevor die Haftung der Großeltern in Frage kommt, muss festgestellt werden, dass ein vorrangig verpflichteter Elternteil nicht leistungsfähig ist.
aa) Ausfallhaftung (§ 1607 Abs. 1) und Ersatzhaftung (§ 1607 Abs. 2) der Großeltern
Rz. 494
Die Unterhaltspflicht der Großeltern gegenüber dem Enkelkind kann im Wege der Ausfallhaftung nach § 1607 Abs. 1 oder im Wege der Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 auftreten.
(1) Ausfallhaftung
Rz. 495
Die teilweise oder gänzliche Leistungsunfähigkeit des vorrangig pflichtigen Unterhaltsschuldners (Primärschuldner) lässt die Unterhaltspflicht des nachrangigen Unterhaltsschuldners (Sekundärschuldner) originär einstehen, wenn und soweit der Primärschuldner nach Ausschöpfung aller unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten ausfällt.
Rz. 496
Praxistipp
Sofern sich die Leistungsfähigkeit des Primärschuldners nur aus der Zurechnung fiktiver Einkünfte ergibt, liegt kein Fall des Anwendungsbereichs des § 1607 Abs. 1 vor.
Rz. 497
Bevor die Großeltern als Sekundärschuldner für den Kindesunterhalt haften, schuldet der zweite Primärschuldner, nämlich der Kinder betreuende Elternteil den Unterhalt, sofern er neben der Betreuung des oder der Kinder dessen/derer Barbedarf ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts teilweise oder gar in vollem Umfang sichern kann. Also muss der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit aufnehmen bzw. ausweiten, um den Barunterhaltsanspruch des/der Kinder erfüllen zu können. Erst wenn und soweit der zweite Primärschuldner dies nicht unter Berücksichtigung der Belange der Familie, insbesondere der Betreuungsbedürftigkeit eines minderjährigen Kindes, leisten kann, entsteht die originäre Haftung der Großeltern.
Rz. 498
Praxistipp
Beim – zweiten – Primärschuldner ist der eigene angemessene, nicht notwendige Unterhalt zu berücksichtigen.
(2) Ersatzhaftung
Rz. 499
Ist die Rechtsverfolgung gegen den/die erstrangig Unterhaltspflichtigen (Primärschuldner) im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert, aber auch wenn davon auszugehen ist, dass die Vollstreckung erfolglos bleiben wird, da sich die Leistungsfähigkeit des Primärschuldners alleine aus der Zurechnung fiktiver Einkünfte ergibt, greift die Ersatzhaftung der Großeltern nach § 1607 Abs. 2 ein.
Rz. 500
Die Großeltern werden als Sekundärschuldner gegenüber dem Kind unterhaltspflichtig. Allerdings entsteht die Unterhaltsverpflichtung der Großeltern nicht wie bei § 1607 Abs. 1 originär, sondern die Großeltern sind Sekundärschuldner nach § 1607 Abs. 2, die die Primärschuldner in Regress nehmen können, indem der Anspruch des Kindes im Wege der Legalzession auf die tatsächlich Unterhalt zahlenden Großeltern übergeht.
bb) Dauer
Rz. 501
Die Haftung der Großeltern als Sekundärschuldner besteht sowohl als Ausfall- als auch Ersatzhaftung nur für die Dauer der Leistungsunfähigkeit des/der Primärschuldner, also für den Zeitraum, in dem der angemessene Unterhaltsbedarf des Primärschuldners gefährdet ist. Für den Beginn der Haftung müssen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 1613 vorliegen, sodass eine Haftung des Sekundärschuldners für rückständigen Unterhalt ausscheidet.
Rz. 502
Praxistipp
Im Wege der Ausfallhaftung nach § 1607 Abs. 1 erfüllt der Sekundärschuldner eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem anspruchsberechtigten Kind. Daher setzt der Primäranspruch des § 1607 Abs. 1 Verzug nach § 1613 voraus.
Rz. 503
Nach § 1607 Abs. 2 erfüllt der Sekundärschuldner eine fremde Schuld, wenn und soweit er leistet, geht der Anspruch des Unterhaltsberechtigten gegen den Primärschuldner auf den Sekundärschuldner in den Grenzen des § 1613 über. Der Anspruch beginnt also im Zeitpunkt der Gefährdung des angemessen Unterhaltsbedarfs des barunterhaltspflichtigen Elternteils und endet mit der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Primärschuldners. Unterhaltsrückstände außerhalb des Verzugs (§ 1613) werden nicht erfasst.