Rz. 427
Der Unterhaltsschuldner ist leistungsfähig, wenn er mit seinem unterhaltsrechtlichen Einkommen den Restbedarf aller Unterhaltsberechtigten und seinen eigenen Lebensbedarf decken kann. Die fehlende Fähigkeit des Unterhaltsschuldners den Unterhaltsbedarf eines oder mehrerer gleichrangiger Unterhaltsgläubiger zu befriedigen, stellt nach Auffassung des BGH einen absoluten Mangelfall dar. Die Leitlinien nehmen den Mangelfall an, wenn der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners nicht gewahrt ist.
(1) Der absolute Mangelfall
Rz. 428
Ein solcher liegt vor, wenn das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Unterhaltsschuldners nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts nicht zur Deckung des in § 1609 Nr. 1 aufgeführten Kindesunterhalts ausreicht.
Rz. 429
Praxistipp
Bei Vorliegen eines absoluten Mangelfalls sind Korrekturen bei der Einkommensberechnung vorzunehmen. Freiwillige Leistungen Dritter, die eigentlich das Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht erhöhen, werden auch gegen den erklärten Willen des Dritten als Einkommen berücksichtigt. Gleiches gilt für grundsätzlich einkommenserhöhend zu berücksichtigende Vergütung für Überstunden in erheblichem Umfang. Des Weiteren ist die Abzugsfähigkeit der 5 %igen Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen im Hinblick auf die Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel ebenfalls kritisch zu prüfen. In konkreten Fällen kann vom Unterhaltsschuldner verlangt werden längere Fahrten zur Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf zu nehmen.
Auch im absoluten Mangelfall ist der Selbstbehalt nicht herabzusetzen.
(2) Der einfache Mangelfall
Rz. 430
Ein einfacher Mangelfall liegt vor, wenn der Unterhaltsschuldner hinsichtlich des erstrangigen (§ 1609 Nr. 1) Kindesunterhalts leistungsfähig ist, aber der Bedarf des zweitrangigen Unterhaltsgläubigers (§ 1609 Nr. 2) nicht – mehr – bei Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts gedeckt ist.
(3) Berechnung mit Beispielen
Rz. 431
Reicht das Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht aus, um alle gleichrangigen Ansprüche minderjähriger und privilegiert volljähriger Kinder zu befriedigen, ist sein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts (=Verteilungsmasse) zu gleichen Teilen auf die Berechtigten zu verteilen. Zu diesem Zweck wird der Unterhaltsbedarf des minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindes als Einsatzbetrag ermittelt, dann werden die Einsatzbeträge der Berechtigten verhältnismäßig gekürzt, indem der Einsatzbetrag um den Teil gekürzt wird, der diesem Bedarf prozentual aus der Verteilungsmasse zur Verfügung steht. Es wird eine Mangelverteilung durchgeführt.
Rz. 432
Praxistipp
Durchführung der Berechnung (Leitlinien Nr. 24)
Die nach Abzug des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen verbleibende Verteilungsmasse (V) ist anteilig auf alle gleichrangigen unterhaltsberechtigten Kinder im Verhältnis ihrer Unterhaltsansprüche zu verteilen.
Rz. 433
Die prozentuale Kürzung (K) berechnet sich nach der Formel:
K = |
V |
X 100 |
K = prozentuale Kürzung S = Summe der Einsatzbeträge V = Verteilungsmasse |
S |
Das im Rahmen der Mangelfallberechnung gewonnene Ergebnis ist auf seine Angemessenheit zu überprüfen.
Rz. 434
Zu beachten ist bei der Ermittlung der Einsatzbeträge, dass seit dem 1.1.2008 das Kindergeld gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 1 den Barbedarf des Kindes in anrechenbarem Umfang (hälftig) mindert. Daher bestimmt nunmehr der Zahlbetrag den Einsatzbetrag.
Rz. 435
Reicht das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht zur Deckung des Unterhalts aus, ist eine Herabgruppierung anhand der Bedarfskontrollbeträge vorzunehmen. Der Mangelfall wird erst festgestellt, wenn der Unterhaltsschuldner auch den Unterhalt der 1. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle bei Wahrung des notwendigen Selbstbehalts nicht leisten kann. Dann ist eine Mangelfallberechnung – wie nachfolgend beispielhaft dargestellt – vorzunehmen:
Rz. 436
Sachverhalt 1
Der unterhaltspflichtige Vater V hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2.000 EUR. Unterhaltsberechtigt sind ein 18-jähriges Kind K 1, das bei der Mutter M lebt und das Gymnasium besucht, und die beiden minderjährigen Kinder K 2 (14 Jahre) und K 3 (10 Jahre), die von der Mutter betreut werden. Das Kindergeld in Höhe von insgesamt 750 EUR wird an die Mutter ausbezahlt, deren sonstiges Einkommen unter 1.000 EUR liegt.
Unterhaltsberechnung
Der Vater V ist allein barunterhaltspflichtig für alle Kinder.
Bedarf K 1
628 EUR (DT 2023, Gruppe 1, 4. Altersstufe) – 250 EUR Kindergeld ergibt einen ungedeckten Bedarf in Höhe von 378 EUR.
Bedarf K 2
588 EUR (DT 2023, Gruppe 1, 3. Altersstufe) – 125 EUR ½ Kindergeld ergibt einen unged...