Rz. 912
Die jeweiligen Haftungsanteile der Eltern gegenüber einem volljährigen, nicht privilegierten Kind sind in einer mehrstufigen Berechnung zu ermitteln.
1. Berechnungsstufe: Von dem unterhaltsrelevant bereinigten Nettoeinkommen beider Elternteile ist zunächst der für vorrangige Unterhaltsgläubiger zu zahlende Barunterhalt (Zahlbetrag) abzuziehen,
2. Berechnungsstufe: Vor der Berechnung der Haftungsanteile ist von dem unterhaltsrelevant bereinigten Nettoeinkommen beider Eltern jeweils der angemessene Selbstbehalt gegenüber volljährigen Kindern abzuziehen,
3. Berechnungsstufe: Das verbleibende Resteinkommen der/des Unterhaltsschuldner/s ist sodann zum Unterhaltsbedarf des Unterhaltsgläubigers ins Verhältnis zu setzen; daraus ermitteln sich die jeweiligen Haftungsanteile, und
4. Berechnungsstufe: Der so ermittelte Haftungsanteil ist auf Angemessenheit und Billigkeit zu überprüfen und kann, wenn besondere Umstände vorliegen, wertend verändert werden.
Rz. 913
Der Bedarf eines im Haushalt seiner Eltern bzw. eines Elternteils lebenden volljährigen Kindes bemisst sich grundsätzlich nach den zusammengerechneten Einkünften beider Eltern, gleichgültig, ob beide Eltern oder ob nur ein Elternteil leistungsfähig sind/ist. Fällt allerdings ein Elternteil mangels Leistungsfähigkeit im Rahmen der Anteilshaftung aus, dann schuldet der andere höchstens denjenigen Unterhalt, der sich allein auf der Grundlage seines Einkommens aus der vierten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle unter Anrechnung des vollen Kindergeldes ergibt.
Rz. 914
Der so ermittelte Haftungsanteil ist auf seine Angemessenheit zu überprüfen und kann bei Vorliegen besonderer Umstände wertend verändert werden. Insoweit ist eine Kontrollrechnung zugunsten des Unterhaltsschuldners anzustellen, wenn sich aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern nach der Quotierung immer noch ein höherer Richtsatz zu Lasten des Unterhaltsschuldners ergibt. Es wird entsprechend gedeckelt. Im Rahmen der Kontrollberechnung sind eigene Einkünfte des volljährigen Kindes anteilig mit der Quote zu berücksichtigen, die sich bei der Haftungsquotenermittlung zwischen den Eltern für den Elternteil ergibt, zugunsten dessen die Kontrollberechnung durchgeführt wird.
Rz. 915
Die in den Leitlinien einiger Oberlandesgerichte vorgesehene Kontrollberechnung dient der Vermeidung unbilliger Ergebnisse, wenn das Einkommen der leistungsfähigen Eltern erheblich differiert und die Zusammenrechnung der Einkommen dazu führt, dass der leistungsfähigere Elternteil die Last der sich aus der Zusammenrechnung ergebenden Bedarfserhöhung des Volljährigen allein oder praktisch allein tragen muss. Die Kontrollberechnung darf allerdings nicht dazu führen, dass bei vergleichbaren Einkünften leistungsfähiger Eltern der Bedarf des volljährigen Kindes durch die Leistungsfähigkeit nur eines Elternteils begrenzt wird. Die Kontrollberechnung scheidet in der Regel auch dann aus, wenn das volljährige Kind eigene, seinen Unterhaltsbedarf mindernde Einkünfte hat.
Rz. 916
Ist ein Elternteil nicht leistungsfähig oder verletzt er Erwerbsobliegenheiten, dann muss sich das volljährige Kind nicht auf fiktive Einkünfte dieses Elternteils verweisen lassen. Der leistungsfähige Elternteil haftet dem Kind dann vielmehr nach § 1607 Abs. 2 Satz 1 allein für den ausschließlich nach seinem Einkommen bemessenen Unterhalt und kann bei dem anderen Elternteil insoweit Regress nehmen (Legalzession des § 1607). Den Unterhaltsschuldner trifft die Obliegenheit, Vermögen in üblicher, sicherer Weise ertragreich anzulegen, wenn ansonsten Unterhaltsmittel fehlen.
Rz. 917
Ob Schulden des Unterhaltsschuldners bereits bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs anzuerkennen sind, bedarf einer umfassenden Interessenabwägung, bei der ein angemessener Ausgleich zwischen den Belangen des Kindes, des Unterhaltsschuldners und des Drittgläubigers zu erfolgen hat. Auf Kreditverbindlichkeiten, die der Unterhaltsschuldner in Kenntnis seiner Barunterhaltspflicht eingegangen ist, kann er sich im Regelfall nicht berufen.