Rz. 256
Das minderjährige Kind als unterhaltsberechtigter Gläubiger kann Leistungen eines Dritten erhalten. Bei der Klärung der Frage, ob solche Leistungen Einkommen darstellen und ob bejahendenfalls dieses Einkommen ein auf den Lebensbedarf des Kindes Anrechenbares ist, muss zwischen freiwilligen Leistungen eines Dritten und solchen Leistungen eines Dritten, auf die das minderjährige Kind einen Rechtsanspruch hat, unterschieden werden.
Rz. 257
Die Zuwendung des Dritten kann sich als Barleistung und/oder Sachleistung darstellen. Auch Naturalleistungen sind Zuwendungen an das minderjährige Kind. Daher stellt auch der sich aus einer solchen Zuwendung ergebende Wohnvorteil eine nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigende Zuwendung dar.
Allen diesen Leistungen an das minderjährige Kind ist gemein, dass sie nur aus einer sittlichen Pflicht des Zuwendenden heraus an das minderjährige Kind gewährt werden. Es fehlt am Gegenseitigkeitsverhältnis der Leistung. Daher können solche Zuwendungen, die der Dritte aufgrund eines Rechtsanspruches des minderjährigen Kindes an dieses leistet, nicht wie freiwillige Leistungen behandelt werden.
Rz. 258
Bei der Bestimmung der Art der Zuwendung ist der Wille des zuwendenden Dritten zu beachten. Sie kann sich aus einer ausdrücklichen Willensbestimmung des Zuwendenden oder aber aus der persönlichen Beziehung der Beteiligten zueinander ergeben.
(1) Die freiwillige Leistung
Rz. 259
In der Regel werden freiwillige Leistungen eines – jeden – Dritten, also Leistungen, auf die das minderjährige Kind keinen Rechtsanspruch hat, unterhaltsrechtlich nicht bedarfsmindernd angerechnet.
Von der Freiwilligkeit der Leistung ist auszugehen, wenn der Zuwendende den Empfänger grundsätzlich unterstützen will, ohne die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten zu mindern oder den Unterhaltspflichtigen bei der Erfüllung seiner Pflicht zu entlasten.
Rz. 260
Praxistipp
Die Freiwilligkeit der Leistung fehlt, wenn das minderjährige Kind als Empfänger der Zuwendung dem Zuwendenden gegenüber unentgeltliche Leistungen erbringt, da es sich bei der Gegenleistung um eine vermögenswerte handelt, die zur Abgeltung der erhaltenen Zuwendung erbracht wird. Die Höhe des Einkommens des die Zuwendung Empfangenden ergibt sich aus dem Wert der erbrachten Gegenleistung. In Höhe dieses Werts ist die empfangene Leistung Einkommen und ist bedarfsdeckend zu berücksichtigen. Der Geldwert der Gegenleistung ist gegebenenfalls anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls nach § 287 ZPO zu schätzen.
Rz. 261
Freiwillige Leistungen eines Dritten an das minderjährige Kind sind bei diesem nicht bedarfsmindernd als Einkommen anzurechnen.
Rz. 262
Praxistipp
Wird in größerem Umfang dem minderjährigen Kind Kapital zugewendet, sind die hieraus anfallenden Zinsen als – anrechenbare – Einkünfte des minderjährigen Kindes bedarfsdeckend zu berücksichtigen.
Rz. 263
Allerdings gibt es vom Grundsatz der nicht bedarfsmindernden Anrechenbarkeit freiwilliger Leistungen Ausnahmen:
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Sinn und Zweck der Zuwendung des Dritten an das minderjährige Kind ist gerade die Entlastung des Unterhaltspflichtigen. Das gilt auch, wenn der Zuwendende seiner, unter Umständen nur subjektiv empfundenen Verpflichtung gegenüber dem minderjährigen Kind nachkommt. |
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Der Unterhaltsschuldner lebt in wirtschaftlicher Hinsicht in äußerst engen Verhältnissen (Mangelfall). Die bedarfsmindernde Anrechnung der Zuwendung als Einkommen des minderjährigen Kindes ergibt sich aus Billigkeitserwägungen auch für den Fall, dass die freiwillige Leistung des Dritten gerade nicht zur Entlastung des Unterhaltspflichtigen erbracht worden ist. Ein solcher Sachverhalt kann sich ergeben, wenn das minderjährige Kind mit seiner Mutter und deren Lebenspartner in einer im Alleineigentum des Lebenspartners stehenden Wohnung lebt und sich der unterhaltspflichtige Vater in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. |
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Dem minderjährigen Kind zufließende Stipendien mindern ebenfalls dessen Bedürftigkeit. |
Rz. 264
Praxistipp
Öffentliche Ausbildungshilfen zugunsten des minderjährigen Kindes sollen dann nicht als Einkommen bedarfsmindernd angerechnet werden, wenn sie zum einen für Maßnahmen geleistet werden, deren Kosten nicht Inhalt des Unterhaltsanspruchs des minderjährigen Kindes sind, da eine unterhaltsrechtliche Entlastung der Eltern gerade nicht eintritt. Zum anderen soll die Anrechnung entfallen, wenn mit der Zuwendung eine besondere z.B. schulische Leistung des minderjährigen Kindes belohnt wird oder mit einem besonderen Förderungszweck verbunden ist.