Rz. 650
Die Darstellung der Unterhaltsansprüche der – nicht privilegiert – volljährigen Kinder folgt dem Aufbau der Unterhaltsansprüche minderjähriger und privilegiert volljähriger Kinder. Sofern im Folgenden keine Ausführungen zu einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen gemacht werden, ergeben sich zu den Ausführungen im Rahmen des Unterhaltsanspruchs der minderjährigen und privilegiert volljährigen Kinder keine Abweichungen.
Rz. 651
Die nachfolgende Darstellung folgt in ihrem Aufbau ebenfalls den Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs, also
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Eltern-Kind-Verhältnis |
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Bedarf |
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Bedürftigkeit |
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Leistungsfähigkeit |
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Probleme außerhalb der Anspruchsgrundlage. |
I. Allgemeines zum Unterhalt des volljährigen Kindes
Rz. 652
Der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes gegen seine Eltern ergibt sich wie beim minderjährigen und privilegiert volljährigen Kind aus § 1601 (Deszendentenunterhalt). Die Eltern sind über die Vollendung des 18. Lebensjahres (Volljährigkeit) hinaus aufgrund der rechtlichen Verwandtschaft (§ 1589) aus dem Eltern-Kind-Verhältnis für das nun volljährige Kind unterhaltsrechtlich verantwortlich, auch wenn mit Eintritt der Volljährigkeit die elterliche Sorge endet. Die elterliche Sorge wandelt sich formal in eine rein finanzielle Sorge für das Kind.
Rz. 653
Mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erlangt das Kind Eigenständigkeit, die aber – noch – nicht zur vollständigen Lösung von den Eltern führt. Jedenfalls bleiben das – volljährige – Kind und seine Eltern aufgrund deren Verpflichtung zur finanziellen Sorge in Gegenseitigkeit verbunden. Diese Verpflichtung der Eltern gegenüber ihrem Kind erfährt durch § 1602 ("Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung") eine Einschränkung. Eine tatbestandliche Beschränkung des Unterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes gegen seine Eltern im Rahmen des § 1601 gibt es hingegen nicht. Sofern die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist der Grund der Bedürftigkeit unerheblich.
Rz. 654
Nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung des § 1602 ist das volljährige Kind, sofern es sich nicht in Ausbildung befindet, vorrangig für sich selbst verantwortlich. Konsequenterweise steht daher dem volljährigen Kind gegen seine Eltern ein Unterhaltsanspruch dem Grunde nach nur zu, wenn es infolge bestimmter Umstände und Bedürfnislagen, wie Ausbildung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Betreuung eigener Kinder, die Sicherung der eigenen Existenzgrundlage nicht gewährleisten kann. Das volljährige Kind muss also bedürftig sein.
Rz. 655
Solange das Kind wirtschaftlich von seinen Eltern abhängig ist, richtet sich der Bedarf des Volljährigen – noch immer – nach den Lebensverhältnissen der Eltern. Der Lebensbedarf des volljährigen Kindes ist ebenfalls anhand der Düsseldorfer Tabelle und der Leitlinien zu ermitteln, außerdem kann sich Mehr- und Sonderbedarf ergeben.
Rz. 656
Im Unterhaltsrechtsverhältnis sind die Eltern und das volljährige Kind sich wechselseitig zur Rücksichtnahme verpflichtet, außerdem ergibt sich aus den § 1618a und § 242 im Rahmen des Ausbildungsunterhalts ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Eltern und Kind. Dessen Ausgestaltung wird im Rahmen der Darstellung des Ausbildungsunterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes beschrieben werden.
II. Überblick über die Unterschiede zum Unterhalt des minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kind
Rz. 657
Grundsätzlich ist die Anspruchsgrundlage und damit auch die Anspruchsvoraussetzungen die gleiche bzw. die gleichen. Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen und des volljährigen Kindes sind identisch. Die unveränderte Fortdauer des die Unterhaltspflicht begründenden Verwandtschaftsverhältnisses über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus ist Wesensteil des Verwandtenunterhalts. Trotzdem ergeben sich für das von seinen Eltern Unterhalt begehrende volljährige Kind einige Abweichungen vom Anspruch des minderjährigen Kindes gegen seine Eltern.
1. Keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit
Rz. 658
Mit Eintritt der Volljährigkeit des Unterhaltsberechtigten bzw. mit Wegfall der Privilegierung nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 trifft die Unterhaltsverpflichteten nicht mehr eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit und/oder die Verpflichtung alle verfügbaren Mittel gleichmäßig für den beiderseitigen Unterhalt zu verwenden. Den unterhaltspflichtigen Elternteilen wird jeweils der angemessene Selbstbehalt in Höhe von derzeit 1.200 EUR zugestanden.
2. Anteilige Barunterhaltspflicht beider Elternteile
Rz. 659
Die elterliche Sorge endet mit Eintritt der Volljährigkeit, das volljährige Kind muss nicht mehr von einem oder beiden Elternteil(en) betreut werden. Die elterliche Verantwortung wird zur Barunterhaltspflicht beider Elternteile. Der sich aus der Lebensstellung der Eltern ableitende Bedarf des volljährigen Kindes ergibt sich daher aus der Summe der Einkünfte beider Elternteile.
Rz. 660
Für den ungedeckten Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes haften die Eltern anteilig nach dem Verhältnis ihrer unterhaltsrechtlich bereinigten Einkünfte, die um den angemessenen Selbstbehalt reduziert werden. Zu beachten ist, dass das volljährige Kind im Verhältnis zum minderjährig...