Rz. 470
An dieser Stelle werden Probleme behandelt, die sich außerhalb des Unterhaltsanspruchs des minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kindes gegen seine Eltern stellen, aber in Zusammenhang mit diesem stehen.
1. Die Ausfall- und Ersatzhaftung
Rz. 471
Das Gesetz regelt für den Verwandtenunterhalt in den §§ 1606 und 1607 die Reihenfolge, in der mehrere Personen nebeneinander oder nacheinander zur Unterhaltszahlung verpflichtet sind. Nach § 1606 Abs. 2 haften unter den Verwandten der aufsteigenden Linie zunächst die Näheren vor den Entfernteren, also haften die Eltern vor den Großeltern für den Unterhalt der Kinder. Für den Fall, dass ein Elternteil für den Kindesunterhalt nicht herangezogen werden kann, erhöht sich nach § 1606 Abs. 3 der Haftungsanteil des anderen, auch wenn dieser andere Elternteil ein minderjähriges Kind betreut.
Rz. 472
Entgegen § 1606 Abs. 3 Satz 2, der Betreuungs- und Barunterhalt gleichwertig nebeneinanderstehen lässt, reicht die Betreuungsleistung eines Elternteils nicht zur Erfüllung des Unterhaltsanspruchs aus, wenn der andere – barunterhaltspflichtige – Elternteil im Unterhaltsrechtsverhältnis wegen fehlender Leistungsfähigkeit ausfällt. Dann haftet der betreuende Elternteil auch – neben dem Betreuungsunterhalt – für den Barunterhalt. Für die Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils gelten die allgemeinen Grundsätze. Den betreuenden Elternteil trifft grundsätzlich eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2.
Rz. 473
Praxistipp
Die Großeltern haften – nach den Eltern – nur, wenn auch der betreuende Elternteil den Bedarf des Kindes nicht decken kann. Grundsätzlich haften alle noch lebenden Großeltern anteilig im Verhältnis ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse, da eine Haftung nach Verwandtschaftsstämmen in § 1606 Abs. 2 nicht vorgesehen ist.
Rz. 474
Die Ersatzhaftung des nachrangig Unterhaltspflichtigen greift also ein, wenn der vorrangig Unterhaltspflichtige leistungsunfähig ist. Gleiches gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen den primär haftenden Unterhaltsschuldner im Inland ausgeschlossen oder wesentlich erschwert ist; vgl. § 1607 Abs. 2, der auch für den im Hinblick auf fiktive Einkünfte zur Unterhaltszahlung verpflichteten Barunterhaltsschuldner Anwendung findet. Es fehlt hier nicht an der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit (§ 1607 Abs. 1), vielmehr scheitert die Realisierung des (Bar-)Unterhaltsanspruchs, sodass ein Fall des § 1607 Abs. 2 vorliegt.
a) § 1607 Abs. 1: Die Ausfallhaftung
Rz. 475
Bei nur teilweise gegebener oder gänzlich fehlender Leistungsfähigkeit des erstrangig haftenden Verwandten (Primärschuldner) bestimmt § 1607 Abs. 1 im Wege der Ausfallhaftung die Unterhaltspflicht des nach dem primär Haftenden Verwandten. Der nachrangig haftende Verwandte (Sekundärschuldner) hat dann den geschuldeten Unterhalt zu gewähren. Aufgrund der Ausfallhaftung des § 1607 Abs. 1 haftet ein gleichrangiger Verwandter, z.B. der andere Elternteil, allein, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil gar nicht oder nur eingeschränkt leistungsfähig ist. Die (Ausfall-)Haftung des betreuenden Elternteils beginnt nach § 1607 Abs. 1 bereits dann, wenn der Eigenbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils gefährdet ist.
Rz. 476
Beispiel
Eine wiederverheiratete Mutter, deren eigener angemessener Unterhalt durch die neue Ehe bzw. Familie gesichert ist, betreut minderjährige und/oder privilegiert volljährige Kinder aus der ersten Ehe. Der gegenüber den minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindern barunterhaltspflichtige – von der Mutter geschiedene – Kindsvater ist nicht leistungsfähig.
Die betreuende Mutter haftet dann – auch – für den Barunterhalt der minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kinder aus erster Ehe nach § 1607 Abs. 1. Im Rahmen dieser Unterhaltsverpflichtung gegenüber den minderjährigen und/oder privilegiert volljährigen Kindern aus erster Ehe trifft sie eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, deren Umfang jedoch auch von den Belangen der neuen Familie, insbesondere denen weiterer betreuungsbedürftiger Kinder, bestimmt wird.
Rz. 477
Der Umfang der Ausfallhaftung nach § 1607 Abs. 1 dauert solange und geht soweit, wie der gleichrangig (Elternteile) oder vorrangig haftende Verwandte leistungsunfähig ist. Bei Eintritt – auch teilweiser – Leistungsfähigkeit des erstrangig haftenden Verwandten endet die Unterhaltsverpflichtung des nachrangig Haftenden nach § 1607 Abs. 1. Es besteht für den nachranging haftenden Verwandten, der nach § 1607 Abs. 1 Unterhalt geleistet hat, keine Möglichkeit, diese Zahlungen erstattet zu erhalten, jedwede Regressansprüche scheiden aus. Der erstrangig haftende Unterhaltsschuldner ist nicht leistungsfähig. Daher liegen in diesem Unterhaltsrechtsverhältnis bereits die Anspruchsvorausset...