Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Gemeinsame Ausübung der Verantwortung für das Kind
Rz. 305
Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ordnet das Sorgerecht den Eltern zu, also zwei Personen gemeinsam. Die gemeinsame Ausübung des Rechts auf Pflege und Erziehung des Kindes setzt allerdings ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern und eine soziale Beziehung jedes Elternteils zu dem Kind voraus. Fehlt es hieran, können die einzelnen elterlichen Befugnisse weitgehend einem Elternteil allein zugewiesen werden.
Beide Elternteile haben demnach eigenständige Elternrechte, die jedoch in ihrer Ausübung aneinander gebunden sind. Das Elternrecht ist nach Inhalt und Funktion durch das Schutzbedürfnis sowie das Persönlichkeits- und Menschenrecht des Kindes pflichtgebunden. Bei einer Interessenkollision zwischen Eltern und Kind ist das Kindeswohl der bestimmende Maßstab, § 1697a BGB.
2. Meinungsverschiedenheiten der Eltern, § 1628 BGB
Rz. 306
Für den Fall, dass Eltern in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind eine gemeinsame Entscheidung nicht zu treffen in der Lage sind, entscheidet das Familiengericht darüber, wem der beiden Sorgeberechtigten die Entscheidungsbefugnis zuzuordnen ist, § 1628 BGB.
Im Hinblick darauf, dass statistisch in rund 80 % der Fälle nach Trennung und Scheidung die Eltern gemeinsam die Verantwortung für Kinder ausüben, hat die Vorschrift des § 1628 BGB über die gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern erheblich an Bedeutung gewonnen.
Rz. 307
§ 1628 BGB ermächtigt die Gerichte allerdings nur dazu, einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen, fällt jedoch keine eigene Sachentscheidung. Es wirkt aber auf eine Einigung der Sorgeberechtigten hin, § 156 FamFG.
Gerichtliche Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gem. § 1628 BGB beziehen sich aber nur auf eine einzelne Angelegenheit oder eine bestimmte Art von Angelegenheiten nicht dagegen auf grundsätzliche Fragen, z.B. des Wohnsitzes der Kinder.
§ 1628 BGB ist deshalb grundsätzlich restriktiv auszulegen und auf situative Entscheidungen zu begrenzen.
Rz. 308
Voraussetzung für das familiengerichtliche Verfahren ist der Antrag eines Elternteils nach erfolglosem Einigungsversuch mit dem anderen Elternteil, dessen Konflikt sich auf die elterliche Sorge und dabei nur auf eine einzelne Angelegenheit bezieht, die von erheblicher Bedeutung ist.
Rz. 309
Einzelfälle von Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sind z.B.:
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Streit um den Vornamen des Kindes, |
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Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes, |
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Unterbringung im Landschulheim oder im Elternhaus, |
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Unterbringung in einer Heilanstalt, |
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Wahl des Kindergartens, Wahl der Schulart, Wahl des Schulortes, Umschulung auf eine Waldorfschule, |
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Ausbildungs- und Berufswahl, |
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Wahl des religiösen Bekenntnisses, |
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Katholische Taufe und Erstkommunion des achtjährigen Kindes, |
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Taufe eines Kindes, |
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Ärztliche Behandlung, |
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ob und wogegen das Kind geimpft werden soll, |
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Umgang mit dritten Personen, |
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Ausstellung eines Kinderausweises, |
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Urlaubsreise nach Katar für zwei 5 und 7 Jahre alte Kinder, |
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Urlaubsreise der mit den Kindern (16 und 6 Jahre alt) zusammen lebenden Kindesmutter kasachischer Abstammung nach Kasachstan, |
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Urlaubsreise in Krisengebiete, |
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Anlegung eines größeren Kindesvermögens, |
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Ausschlagung einer angefallenen Erbschaft, |
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Verwendung der Einkünfte des Kindesvermögens gem. § 1649 Abs. 2 BGB, |
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Vertretung des Kindes bei der Geltendmachung von Kindesunterhalt im Wechselmodell, |
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gerichtliche Geltendmachung von Sozialleistungen, |
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Antrag nach dem Namensänderungsgesetz, |
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Veröffentlichung von Kinderfotos, |
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Durchsetzung von Unterhalt im Wechselmodell, |
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Covid 19-Test. |
Rz. 310
Das Familiengericht entscheidet nicht selbst hinsichtlich der Angelegenheit, sondern überträgt die Entscheidung einem Elternteil allein, entweder dem Antragsteller oder dem Antragsgegner. Ein Antrag, etwa bei Streit über die Einschulung des Kindes in eine Waldorfschule oder eine so genannte Regelschule, lautet:
Rz. 311
Muster 2.31: Antrag wegen Meinungsverschiedenheit nach § 1628 BGB
Muster 2.31: Antrag wegen Meinungsverschiedenheit nach § 1628 BGB
Es wird beantragt, wie folgt zu erkennen:
Der Antragstellerin wird die Entscheidung darüber übertragen, in welche Schule das gemeinsame minderjährige Kind XY einzuschulen ist.
Rz. 312
Ziel des § 1628 BGB ist nicht Staatsintervention durch gerichtliche Eigenentscheidung, sondern Wahrung des Kindeswohles durch einen Elternteil, auf den sich insoweit mit Hilfe des Gerichtes die Ausübung der elterlichen Sorge für die Entscheidung der Einzelfrage konzentriert.