Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 739
Die Anhörung ist ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Arbeitgeber dem BR die aus seiner Sicht tragenden Umstände der Kündigung unterbreitet hat (sogenannter Grundsatz der subjektiven Determinierung). Dieser eigene, besonders strukturierte Erkenntnisprozess unterscheidet sich somit vom Kündigungsschutzprozess. Der Grundsatz der subjektiven Determinierung beschränkt die Mitteilungspflichten des Arbeitgebers auf die Rahmendaten des zu kündigenden Arbeitnehmers und die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe. Hat der Arbeitgeber dem BR Informationen nicht mitgeteilt, die aus seiner Sicht keine Rolle spielen oder die ihm selbst nicht bekannt waren, ist der Anhörungspflicht dennoch Genüge getan. Im Kündigungsschutzprozess mag sich die nicht mitgeteilte Information aber als wesentlich herausstellen, so dass die Kündigung aus anderen Gründen – als der Mangelhaftigkeit der BR-Anhörung – für unwirksam befunden wird, etwa weil dem Arbeitgeber entlastende Umstände bei einer verhaltensbedingten Kündigung nicht bekannt waren oder die Krankheitsursachen bei einer personenbedingten Kündigung die Negativprognose nicht stützen. Eine bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe führt daher nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Teilt der Arbeitgeber dem BR aber einen aus seiner Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt oder für den Arbeitnehmer ungünstige Tatsachen mit, von denen er selbst für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen und stellt er damit seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender dar als er wirklich ist, ist die Anhörung unwirksam. Indes liegt bei einer vermeidbaren, aber unbewusst und damit gutgläubig erfolgten, "bloß" objektiven Fehlinformation für sich genommen noch kein Verstoß gegen § 102 BetrVG vor.
Rz. 740
Der Umfang der Unterrichtungspflicht ist eingeschränkt, wenn dem BR die Daten des Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe bereits bekannt sind. Kann sich der BR aufgrund seines Kenntnisstandes bereits über die Person und den Kündigungsgrund ein hinreichendes Bild machen und anhand dessen zur beabsichtigten Kündigung Stellung nehmen und weiß der Arbeitgeber von der Kenntnis des BR, oder kann er diese nach den gegebenen Umständen als sicher annehmen, wäre es reine Förmelei, dem Arbeitgeber gleichwohl noch eine detaillierte Begründung und Information abzuverlangen. Denn das Anhörungsverfahren soll es dem BR ermöglichen, gegenüber dem Arbeitgeber zur Kündigung aus Sicht der Arbeitnehmer Stellung zu nehmen und ggf. dadurch dessen Kündigungsentscheidung zu beeinflussen, ohne eigene zusätzliche Ermittlungen anstellen zu müssen. Hat der BR die zur Beurteilung erforderlichen Kenntnisse aber bereits, bedarf es gerade keiner weiteren Information durch den Arbeitgeber. Bei Betriebsänderungen kann es daher zur Darlegung einer ordnungsgemäßen Anhörung ausreichen, wenn der Arbeitgeber zur Betriebsratsanhörung weitgehend auf den dem BR aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste bekannten Sachverhalt Bezug nimmt. Erst wenn der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag konkret bestreitet, muss der Arbeitgeber in diesem Punkt gegebenenfalls die Vorkenntnisse des BR weiter substantiieren beziehungsweise beweisen.
Rz. 741
Andererseits genügt aber eine bloß pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Umschreibung der Kündigungsgründe dem Anhörungserfordernis ebenso wenig wie ein Werturteil. Dies gilt grundsätzlich auch bei Kenntnis des BR, so dass der schlichte Hinweis, Gründe gäbe es genug und sie seien dem BR bekannt, nicht ausreicht, sondern ein zumindest pauschaler Verweis auf dem BR bekannte Kündigungsgründe erforderlich. Der BR muss ohne zusätzliche Nachforschungen in der Lage sein, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden.
Rz. 742
Bei einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ("Wartezeit") ist auch hinsichtlich der BR-Unterrichtung über die Kündigungsgründe zu berücksichtigen, dass die kündigungsschutzrechtliche Wartezeit dem gegenseitigen Kennenlernen der Arbeitsvertragsparteien und der Erprobung dient. Der Arbeitgeber hat sich daher bei der Mitteilung nicht nach den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG zu richten, sondern muss die Umstände darlegen, aus denen er seinen Kündigungsentschluss subjektiv herleitet. Kann der Arbeitgeber keine auf Tatsachen gestützten und durch Tatsachen konkretisierbaren Kündigungsgründe benennen, genügt es daher in diesem Fall, wenn er der Personalvertretung nur seine subjektiven Wertungen mitteilt, die ihn zur Kündigung veranlassen. Stützt der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung lediglich auf ein subjektives, nicht durch objektivierbare Tatsachen begründbares Werturteil bspw. "Der Arbeitnehmer hat sich während der Probezeit nicht bewährt. Er ist nicht geeignet, die ihm übertragenen...