Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 132
Zwar verliert die Betriebsvereinbarung bei Vorliegen eines Beendigungstatbestands grds. ihre unmittelbare und zwingende Wirkung. Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG entfalten jedoch abgelaufene bzw. beendete Betriebsvereinbarungen über Angelegenheiten, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann (sog. erzwingbare Betriebsvereinbarungen), Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen, die sowohl zwingend als auch nichtzwingend mitbestimmte Gegenstände regeln (teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung), wirken grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung. Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers, die ohne eine vertragliche oder sonstige rechtliche Verpflichtung erbracht werden und von einem etwaigen Betriebserwerber vollständig und ersatzlos eingestellt werden sollen, entfalten keine Nachwirkung von Gesetzes wegen.
Bei einer Betriebsvereinbarung über zusätzliche finanzielle Leistungen des Arbeitgebers, bei denen die Mitbestimmung von der Entscheidung des Arbeitgebers abhängig ist, ob er solche Leistungen zur Verfügung stellen möchte, setzt die Beendigung der Nachwirkung zudem voraus, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat oder den Arbeitnehmern erklärt, dass er für den bisherigen Leistungszweck (endgültig) keine Mittel mehr zur Verfügung stellt. Bis zum Zugang dieser Erklärung entfaltet die Betriebsvereinbarung insgesamt Nachwirkung. Wichtig ist, dass die Einstellung einer Leistung im einen Jahr mit einer zukünftig gewährten Leistung im Folgejahr als eine einheitliche Kürzungs- bzw. Änderungsentscheidung angesehen werden kann, sodass das Mitbestimmungsrecht nicht nur die geänderte Gewähr umfasst, sondern in diesem Fall dann auch die Kürzungsentscheidung erfassen kann. Nach der Rechtsprechung sollen auch solche Betriebsvereinbarungen Nachwirkung entfalten, in denen eine tarifliche Schlichtungsstelle die Einigung der Betriebsparteien ersetzt, also eine abschließende Entscheidung trifft. Im Übrigen soll nach der Rechtsprechung eine Auslegung einer Abrede über eine Nachwirkung einer freiwilligen oder nur teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen über eine einvernehmliche Neuregelung gerade insofern erfolgen, als dass dies regelmäßig die Anrufung einer Einigungsstelle und deren Entscheidung hervorrufe. Im Nachwirkungszeitraum verliert eine Betriebsvereinbarung ihre zwingende Wirkung; sie gilt aber unmittelbar weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt worden ist. Bei den sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG handelt es sich um solche Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung, § 87 Abs. 2 BetrVG. Sie entfalten daher eine Nachwirkung.
Rz. 133
Praxistipp
Die Betriebspartner können die Nachwirkung ausschließen. Dies hat – zur Vermeidung rechtlicher Diskussionen – ausdrücklich zu erfolgen. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung finden dann mit Beendigung keine Anwendung mehr. Ob dies gewünscht und sinnvoll ist, muss abhängig vom Regelungsgegenstand und den sonstigen Umständen des Einzelfalles entschieden werden.
Die Nachwirkung scheidet bei einer wirksamen, fristlosen Kündigung einer Betriebsvereinbarung für die Regelungsinhalte aus, derentwegen die fristlose Kündigung erfolgt ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die fortgesetzte Anwendung der Regelungen in Form der Nachwirkung als Überbrückung für die kündigende Betriebspartei unzumutbar ist.