Rz. 43
Ebenso wie bei Tarifverträgen bedeutet der Ablauf der Kündigungsfrist noch nicht, dass die Betriebsvereinbarung ohne jede Wirkung wäre. Vielmehr ordnet § 77 Abs. 6 BetrVG an, dass Betriebsvereinbarungen eine Nachwirkung entfalten. Dies gilt jedoch nur für diejenigen, die im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung abgeschlossen wurden bzw. durch den Spruch der Einigungsstelle entstanden sind. Auch bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen kann jedoch vereinbart werden, dass sie nachwirken. Es ist lediglich ein umgekehrtes Regel-Ausnahmeverhältnis: Die erzwingbare Betriebsvereinbarung wirkt nach, es sei denn, man hat dies ausgeschlossen, die freiwillige wirkt nicht nach, wenn man es nicht ausdrücklich vereinbart. Bei Betriebsvereinbarungen, die sowohl mitbestimmungspflichtige als auch mitbestimmungsfreie Regelungsgegenstände umfassen, erstreckt sich die Nachwirkung grundsätzlich nur auf den mitbestimmungspflichtigen Teil, sofern dieser eine Regelung enthält, die isoliert praktiziert werden kann. Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen sind regelmäßig teilmitbestimmt. Enthält eine Regelung beide Elemente, wie es z. B. bei betrieblichen Sozialleistungen der Fall sein kann, kommt es auf die Absicht des Arbeitgebers an; will er die Umstände verändern, die er mitbestimmungsfrei entscheiden kann (das Ob der Leistung und der Dotierungsrahmen), tritt keine Nachwirkung ein. Beabsichtigt er aber zumindest auch eine Änderung der Verteilungsgrundsätze, bei denen der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wirkt die Betriebsvereinbarung nach.
Eine Betriebsvereinbarung sieht die Zahlung eines Weihnachtsgelds vor, für das der Arbeitgeber jeweils insgesamt 300.000 EUR zur Verfügung stellt. Der Verteilungsschlüssel ist in der Betriebsvereinbarung genau geregelt. Der Arbeitgeber kündigt diese mit der Begründung, er wolle die Zahlungen angesichts der wirtschaftlichen Lage ganz einstellen. Die Betriebsvereinbarung endet in diesem Fall ohne Nachwirkung. Das Gleiche gilt, wenn er wegen der wirtschaftlichen Lage nur noch 150.000 EUR zahlen möchte, ohne dass sich an den Verteilungsgrundsätzen etwas ändern soll. Wenn er aber ausschließlich oder zusätzlich diese Grundsätze ändern möchte, entfaltet die Betriebsvereinbarung insgesamt Nachwirkung.
Bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr 10 BetrVG unter Berücksichtigung des § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG auf den nicht tariflich geregelten Teil der Vergütung, den der Arbeitgeber ohne normative Verpflichtung und damit freiwillig erbringt. Eine Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG kommt dementsprechend auch nur hinsichtlich der übertariflichen Vergütungsbestandteile in Betracht. Sollen diese durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung vollständig beseitigt werden, ist für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs 1 Nr. 10 BetrVG kein Raum mehr.
Kündigt der Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung über eine freiwillige Leistung und beabsichtigt er zukünftig, eine freiwillige Leistung zu erbringen, mit der er andere Zwecke als mit der bisher gezahlten freiwilligen Leistung verfolgt, scheidet eine Nachwirkung der bisherigen Betriebsvereinbarung aus, da durch die mitbestimmungsfreie Entscheidung, mit der Leistung zukünftig einen anderen Zweck zu verfolgen, gleichzeitig die Entscheidung getroffen worden ist, die bisherige freiwillige Leistung endgültig einzustellen. Raum für eine Mitbestimmung bezogen auf die bisherige freiwillige Leistung besteht nicht mehr. Die Mitbestimmung des Betriebsrats besteht nämlich lediglich bei der Verteilung des vom Arbeitgeber vorgegebenen Volumens innerhalb der vom Arbeitgeber ebenfalls mitbestimmungsfrei vorgegebenen Zwecke der freiwilligen Leistung.
Bei einer aufgrund einer tariflichen Öffnungsklausel abgeschlossenen Betriebsvereinbarung, die vom Tarifvertrag abweichende Regelungen trifft, treten nach deren Beendigung die tariflichen Regelungen anstelle der Betriebsvereinbarung. Eine Nachwirkung der Betriebsvereinbarung kommt hier nicht in Betracht.
Wenn ein Tarifvertrag mehrere Lohnformen als gleichwertig ansieht, liegt eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Prämienlohn im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung und wirkt nach. Ändert der Arbeitgeber unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts die Vergütungsordnung, kann daraus ein Anspruch von Arbeitnehmern auf Vergütung nach der zuletzt wirksamen Ordnung entstehen.
Rz. 44
Die Nachwirkung kann jedoch von den Betriebspartnern ausgeschlossen werden, und zwar auch bei Betriebsvereinbarungen im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung. Dieser Ausschluss kann sowohl in der ursprünglichen Fassung der Betriebsvereinbarung vereinbart werden als auch nachträglich. Die Betriebspartner können die Nachwirkung auch zeitlich beschränken oder nur bezüglich einzelner Regelungsgegenstände ausschließen.
Eine Betriebsvereinbarung trifft Regelungen über betriebliche Sonderzahlungen...