Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 784
§ 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG gilt für alle Kündigungsgründe. Im Rahmen dieses Widerspruchsgrundes muss der BR darlegen, welche dem Arbeitgeber zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für den zu kündigenden Arbeitnehmer möglich wären und welcher freie Arbeitsplatz nach Durchführung dieser Maßnahme mit dem betroffenen Arbeitnehmer besetzt werden könnte. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG führt das Vorhandensein einer solchen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch zur Sozialwidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung. Anders als beim Widerspruchsgrund nach Nr. 3 kommt eine Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen auch am bisherigen Arbeitsplatz in Betracht.
Rz. 785
Allerdings fehlt es bislang an einer hinreichenden richterlichen Konkretisierung der Begriffe Umschulung und Fortbildung; eine Übertragung der Begrifflichkeiten des § 1 Abs. 4 und 5 BBiG dürfte wegen der unterschiedlichen Zweckbestimmungen der Gesetze nicht möglich sein. Dennoch gibt es Parallelitäten, denn eine Umschulung bezweckt den Erwerb anderer beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten, die den betreffenden Arbeitnehmer nach Durchführung der Umschulung zur Verrichtung einer anderen Tätigkeit befähigen sollen und in der Regel mit einer Vertragsänderung einhergehen werden, wohingegen die Fortbildung dem Arbeitnehmer die gleiche Funktion belässt, ihn aber für gestiegene Berufsanforderungen qualifizieren soll, etwa aufgrund technischen Fortschritts. Schlagwortartig lässt sich sagen: Fortbildung ist die Weiterbildung in dem bisherigen Beruf, Umschulung die Ausbildung in einem anderen Beruf, wobei dies nach umstrittener Auffassung nicht zwingend eine gleichwertige Qualifikation sein muss.
Rz. 786
Die Zumutbarkeit orientiert sich ausschließlich am Arbeitgeber, da der Arbeitnehmer ohnehin frei entscheiden kann, ob er an der Umschulung oder Fortbildung teilnehmen will. Will er dies nicht, entfällt sein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG. Vor Inanspruchnahme des Widerspruchsrechts muss der BR die Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers einholen und diese dem Arbeitgeber gegenüber darlegen, und zwar spätestens zeitgleich mit dem Zugang des Widerspruchs beim Arbeitgeber. Die Zumutbarkeit hängt von den mit der Umschulung oder Fortbildung einhergehenden betrieblichen und wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers ab, die sich wiederum nach verschiedenen, arbeitnehmerspezifischen Bedingungen, wie der Dauer der (bisherigen und restlichen) Beschäftigung, seinem Lebensalter, seiner persönlichen und fachlichen Qualifikation bestimmen, und die die Erfolgsaussichten der Umschulung oder Fortbildung beeinflussen. Hat der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung die Ursache gesetzt, sind ihm die mit einer Umschulung oder Fortbildung einhergehenden Belastungen umso eher zuzumuten. Maßgeblich für die Kostenlast ist das Arbeitsentgelt während der Umschulung oder Fortbildung, wobei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers mit in die Abwägung einzubeziehen ist.