Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 410
Aufgrund der Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses scheidet eine inhaltliche Kontrolle in aller Regel aus. Dasselbe Ergebnis ergibt sich unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes bzw. des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung. Lediglich in Ausnahmefällen kann ein inhaltliches Kontrollrecht des Arbeitgebers bestehen, wenn z.B. der konkrete Verdacht auf Verrat von Geschäftsgeheimnissen oder Begehung einer Straftat vorliegt.
Rz. 411
Umstritten ist jedoch, ob und wie lange E-Mails bzw. die dazu gespeicherten Daten dem Fernmeldegeheimnis unterliegen. Das BVerfG hatte 2006 geurteilt, dass
Zitat
die nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten […] nicht durch Art. 10 Abs. 1 GG, sondern durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt [werden].
2009 wurde dieses Urteil in gewisser Weise revidiert; die Sicherstellung und Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers seien am Grundrecht auf Gewährleistung des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG zu messen.
Diese divergierende Rechtsprechung hat zu erheblicher Unsicherheit in der Praxis geführt, auf welche Weise sich ein Arbeitgeber bei der Kontrolle von empfangenen E-Mails rechtmäßig verhalten könne. Diese Frage wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet: die Meinungen reichen vom nahezu völligen Ausschluss der Kontrolle bis zur Verneinung der Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs und der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ausschließlich anhand der Regelungen des BDSG.
Die besseren Gründe sprechen wohl dafür, auch bereits empfangene E-Mails in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses einzubeziehen. Dieses greift nur dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer von der eingehenden Mail tatsächlich Kenntnis genommen hat und einen Zugriff des Arbeitgebers auf diese Mail vollständig verhindern kann.
Das BVerfG hat im Jahr 2006 die Anwendung des Fernmeldegeheimnisses im Wesentlichen damit verneint, dass die spezifischen Gefahren des Kommunikationsvorgangs nach Beendigung der Übermittlung nicht mehr gegeben wären. Der Empfänger könne in seinem eigenen Herrschaftsbereich Schutzvorkehrungen gegen den ungewollten Datenzugriff treffen, deshalb seien die erleichterten Zugriffsmöglichkeiten Dritter nicht mehr gegeben. Außerdem könne ein Zugriff ohne Wissen des Kommunikationsteilnehmers nicht stattfinden und dieser könne selbst beeinflussen, ob vorhandene Daten dauerhaft gespeichert werden.
Dem kann für das Arbeitsverhältnis nicht einschränkungslos gefolgt werden. Denn im Regelfall werden die E-Mails nicht nur auf dem PC des Arbeitnehmers, sondern insbesondere auch auf einem internen Server gespeichert, auf den der Arbeitgeber ebenfalls Zugriff hat. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer nur mit Hilfe einer Internetverbindung auf die E-Mails zugreifen kann. Diese Voraussetzung hat keine Bedeutung für die Frage, ob gleichzeitig eine zweite Zugriffsmöglichkeit besteht. Damit sind die E-Mails gerade nicht im alleinigen Herrschaftsbereich des Arbeitnehmers gespeichert. Der Zugriff des Arbeitgebers wird dem Arbeitnehmer auch nicht angezeigt. Der Arbeitnehmer kann diesen Zugriff im Regelfall nicht verhindern, gleiches gilt für die Vervielfältigung und die Weitergabe der E-Mails. Damit entspricht die Situation des Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen dem Sachverhalt, in dem das BVerfG 2009 die Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses bejahte.
Das Fernmeldegeheimnis gilt solange, wie der Arbeitgeber die Zugriffsmöglichkeit auf die E-Mails des Arbeitnehmers hat. Das wäre ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer empfangene E-Mails an einer selbstgewählten Stelle im betrieblichen System archiviert oder speichert. Letztlich kommt es hier aber entscheidend auf das verwendete E-Mail-System an. Solange eine Kopie der E-Mail oder einzelne Daten weiterhin für den Arbeitgeber abrufbar gespeichert sind, gilt das Fernmeldegeheimnis fort. Erst wenn allein dem Arbeitnehmer die Möglichkeit obliegt, den Zugriff auf die E-Mail zu verhindern oder zu gestatten, endet der Anwendungsbereich des Fernmeldegeheimnisses.
Rz. 412
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kontrolle sind neben dem Fernmeldegeheimnis auch die datenschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 91–107 TKG zu beachten (siehe oben Rdn 360). Ohne Einwilligung des Arbeitnehmers ist eine Kontrolle der Verbindungsdaten nach den Vorschriften des TKG nur zu Abrechnungszwecken erlaubt, also wenn die private E-Mail-Nutzung kostenpflichtig ist (§§ 96, 97 Abs. 1 TKG). Erfolgt die Überwachung der E-Mail-Korrespondenz jedoch nicht zwecks Kostenerfassung – was der Regelfall ist –, sondern etwa zum Schutz des Unternehmens vor Schäden oder aus reinen Aufbewahrungsgründen, dürfen die Verbindungsdaten privater E-Mails mangels entsp...