Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 601
Die Beschlüsse des BAG vom 13.8.2019, 19.11.2019 und vom 7.12.2021 klären die Integration der Mitbestimmung des Betriebsrats in die dem Arbeitgeber obliegenden Aufgaben des Gesundheitsschutzes. Die Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation der GDA definiert den Begriff Gefährdungsbeurteilung wie folgt:
Zitat
Die Gefährdungsbeurteilung ist die systematische Ermittlung und Bewertung relevanter Gefährdungen der Beschäftigten mit dem Ziel, die erforderlichen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit festzulegen.
Die Gefährdungsbeurteilung betrachtet alle voraussehbaren Tätigkeiten und Arbeitsabläufe im Betrieb. Dazu gehören auch Tätigkeiten und Arbeitsabläufe wie z.B. Wartung, Instandhaltung oder Reparatur.
Bei der Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung ist darauf zu achten, dass folgende Prozessschritte berücksichtigt wurden:
1. Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten
2. Ermitteln der Gefährdungen
3. Beurteilen der Gefährdungen
4. Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik (bei diesem Schritt ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach § 4 ArbSchG zu beachten)
5. Durchführen der Maßnahmen
6. Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen
7. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung (insbesondere Anpassung im Falle geänderter betrieblicher Gegebenheiten nach § 3 ArbSchG).
Die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 12 ArbSchG zur Unterweisung ist zu beachten.
Auch die Bundesanstalt für Arbeit Schutz und Arbeitsmedizin (BAuA) übernimmt diese Begriffsbestimmung auf ihren Seiten unter der Überschrift "7 Schritte zur Gefährdungsbeurteilung". Diese Darstellung findet sich auch in der einschlägigen Kommentarliteratur.
Rz. 602
Die Mitbestimmung des Betriebsrates besteht im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften über den Gesundheitsschutz. Die 7 Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung basieren auf unterschiedlichen Normen des Gesetzes. Das BAG hat in den Beschlüssen vom 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, vom 19.11.2019 – 1 ABR 22/18 und vom 7.12.2021 – 1 ABR 25/20 durch Auslegung der §§ 5 und 3 des ArbSchG herausgearbeitet, bei welchen inhaltlichen Themen der Betriebsrat in den verschiedenen Prozessschritten des Kreislaufs des ArbSchG mitbestimmt:
§ 5 ArbSchG regelt die Verpflichtung des Arbeitgebers, die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln. Die Ausfüllung dieses Handlungsauftrages an den Arbeitgeber ist im Mitbestimmungsverfahren zu klären. Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sei die Feststellung, ob Gefährdungen vorliegen und hieraus ein Handlungsbedarf erwachse. Die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes sei in der Gefährdungsbeurteilung festzustellen.
Erst danach entstehe die umfassende und präventive Handlungspflicht des Arbeitgebers aus § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Ein ihm hierbei zustehender Entscheidungsspielraum sei – mitbestimmungsrechtlich – der Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 1 ArbSchG zugeordnet. Ergäbe sich aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG, dass Schutzmaßnahmen erforderlich sind, habe der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zu treffen. Könne eine Gefährdung durch unterschiedliche mögliche Schutzmaßnahmen beseitigt oder zumindest reduziert werden, bestehe im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden soll. Diese Ebene der Mitbestimmung werde aber erst nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung erreicht.
Rz. 603
Im Auftrag zur Gefährdungsbeurteilung sei der untersuchenden Person durch Betriebsvereinbarung vorzugeben, dass anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ggf. festgestellte Gefährdungen im Hinblick auf ihre Schwere (Art und Umfang eines möglichen Schadens) und das Risiko ihrer Realisierung (Eintrittswahrscheinlichkeit) zu bewerten sind und eine sich daraus ergebende Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs zu bestimmen ist. Die Betriebsvereinbarung muss mithin die abstrakten Vorgaben für vom Arbeitgeber durchzuführende Beurteilungen der Arbeitsbedingungen enthalten.
Nach Systematik und Konzeption des ArbSchG ist die Gefährdungsbeurteilung das maßgebende Instrument, um arbeitsbedingte Gefährdungen zu ermitteln. Fehle es daran, sei keine Grundlage gegeben, über mögliche Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 3 ArbSchG zu verhandeln.
Rz. 604
Im Beschl. v. 13.8.2019 betont das BAG, die Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung müsse Verfahrensregelungen zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen aufstellen. Den Arbeitgeber treffe die Verpflichtung, anknüpfend an die beispielhafte Aufzählung möglicher Gefährdungen in § 5 Abs. 3 ArbSchG, alle denkbaren Gefährdungen zu ermitteln. In der Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung seien die möglichen Ursachen etwaiger Gefährdungen nicht näher zu bestimmen, de...