Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 448
In der Praxis werden die Begriffe Arbeits- und Betriebsordnung oft synonym verwendet und dieselben Regelungen mal unter der Bezeichnung Arbeitsordnung, ein anderes Mal im Rahmen einer Betriebsordnung getroffen. Hinsichtlich der Regelungsgegenstände und deren Mitbestimmungspflichtigkeit ist aber zwischen einer Arbeits- und einer Betriebsordnung zu unterscheiden.
Rz. 449
Die nachfolgend anhand eines Musters dargestellte Arbeitsordnung enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern geltenden Arbeitsbedingungen. Die Regelung dieser materiellen Arbeitsbedingungen ist nicht mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 BetrVG, so dass die entsprechende Arbeitsordnung nur durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat zustande kommen kann. Demgegenüber enthält eine Betriebsordnung (siehe oben Rdn 441 ff.) insbesondere nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegende Regelungsgegenstände. Es spricht zwar grundsätzlich nichts dagegen, die Regelungsgegenstände einer Arbeits- und die einer Betriebsordnung in einer Betriebsvereinbarung festzulegen; aber auch in dem Fall sind die Regelungsgegenstände hinsichtlich der Mitbestimmungspflichtigkeit und der Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse zu differenzieren.
Rz. 450
Anstatt die Rechte und Pflichten zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern in einer Arbeitsordnung in Form einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat zu regeln, könnten entsprechende Regelungen auch in einheitlichen Arbeitsverträgen mit den Arbeitnehmern getroffen werden. Bei diesen Formularverträgen würde aber seit der Schuldrechtsreform gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB eine Inhaltskontrolle für allgemeine Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB stattfinden, die zur Unwirksamkeit einzelner Regelungen führen könnte. Da eine solche Inhaltskontrolle nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht bei Betriebsvereinbarungen erfolgt, bietet die Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in einer Arbeitsordnung, die mit dem Betriebsrat in Form einer Betriebsvereinbarung zustande kommt, für den Arbeitgeber mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bestehen allerdings nicht unbeschränkt, vielmehr müssen dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und zwingende gesetzliche Bestimmungen, insbesondere § 75 Abs. 2 BetrVG beachtet werden, der die Betriebsparteien zur Achtung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verpflichtet. Von den Betriebsparteien können in einer Betriebsvereinbarung keine Angelegenheiten geregelt werden, die nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen und in den Bereich der persönlichen Lebensführung der Arbeitnehmer einwirken.
Rz. 451
Der Grund für die Herausnahme der Betriebsvereinbarungen aus dem Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB ist folgender: Der Gesetzgeber ging bei der Regelung in § 310 Abs. 4 S. 1 BGB davon aus, dass die gleichberechtigte Mitwirkung des Betriebsrats eine gewisse Gewähr dafür bietet, dass die Interessen der Arbeitnehmer bei einer Betriebsvereinbarung berücksichtigt und die Arbeitnehmer nicht unangemessen belastet werden. Dies gilt umso mehr für freiwillige Betriebsvereinbarungen nach § 88 BetrVG, die nur dann zustande kommen, wenn der Betriebsrat sie für angemessen hält und abschließt.
Rz. 452
Fraglich ist allerdings, inwieweit eine Bezugnahme des Arbeitsvertrages auf eine Betriebsvereinbarung, etwa zur Arbeitsordnung, AGB-rechtlich privilegiert ist. Die Bezugnahme auf eine Betriebsvereinbarung ist abzugrenzen von der Gestaltung, dass der Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen ist.
Rz. 453
Wegen des im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen geltenden Günstigkeitsprinzips sind für die Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Vereinbarungen vorrangig gegenüber belastenden Regelungen in Betriebsvereinbarungen. Es greift insoweit nicht die unmittelbare und zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarungen über materielle Arbeitsbedingungen nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG ein. Diese Kollisionsregel kommt aber dann nicht zum Tragen, wenn die Arbeitsverträge eine Öffnung gegenüber Betriebsvereinbarungen enthalten (z.B. "Betriebsvereinbarungen gehen den Regelungen des Arbeitsvertrages auch dann vor, wenn die arbeitsvertraglichen Regelungen für den Arbeitnehmer günstiger sind"). In diesen Fällen der sog. Betriebsvereinbarungsoffenheit findet das Günstigkeitsprinzip keine Anwendung; vielmehr gehen die Regelungen der Betriebsvereinbarungen den Arbeitsverträgen vor. Dies wiederum gilt nicht, wenn die Arbeitsverträge nur auf Betriebsvereinbarungen, etwa zur Arbeitsordnung, Bezug nehmen.
Das BAG nimmt in seiner jüngeren Rechtsprechung eine konkludente Vereinbarung der Betriebsvereinbarungsoffenheit regelmäßig an, wenn der Vertragsgegenstand in AGB enthalten ist und einen koll...