Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 737
Vor Ausspruch jeder Kündigung hat der Arbeitgeber den BR des Betriebes anzuhören, in dem der zu kündigende Arbeitnehmer tätig ist. Die ohne BR-Anhörung erklärte Kündigung ist unwirksam. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG soll dem BR ermöglichen, ohne zusätzliche eigene Ermittlungen zu der beabsichtigten Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber aus Sicht der Arbeitnehmer Stellung zu nehmen, damit dieser etwaige Bedenken oder den Widerspruch des BR gegen die beabsichtigte Kündigung bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann. Die Sanktion der evtl. Unwirksamkeit seiner Kündigung zwingt den Arbeitgeber, seiner Anhörungspflicht tatsächlich gerecht zu werden, da er andernfalls Gefahr läuft, dass die Kündigung von vornherein unwirksam ist.
Rz. 738
Nach Ansicht des BAG soll die Anhörung in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar nicht zum Ausspruch der Kündigung kommt. Sinn und Zweck des Anhörungserfordernisses ist also nicht die Wirksamkeitsüberprüfung der Kündigung durch den BR, sondern dessen Einflussnahme auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers.
Rz. 739
Adressat der Anhörung zu einer Kündigung ist grundsätzlich der örtliche BR. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist der Gesamtbetriebsrat Adressat für die Beteiligung bei personellen Einzelmaßnahmen wie der Anhörung nach § 102 BetrVG, wenn ein Arbeitnehmer mehreren Betrieben gleichzeitig zugeordnet, d.h. in diese eingegliedert ist. Hingegen ist der Gesamtbetriebsrat nicht bereits zuständig, wenn die Kündigung infolge einer Betriebsänderung auszusprechen ist, für die – ausnahmsweise – Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat zu führen waren. Etwas anderes gilt nur, wenn der zuständige örtliche BR seine Kompetenz im Einzelfall gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG auf den Gesamt- oder Konzernbetriebsrat übertragen hat.
In den in der Unternehmenspraxis zunehmend oft anzutreffenden Matrix-Organisationen ist es möglich (vgl. BAG 20.10.2019, NZA 2020, 61), dass Arbeitnehmer in mehreren Betrieben eingegliedert sind. Zum Teil wird insoweit vertreten, dass in diesen Fällen ein "Heimatbetrieb" zu ermitteln ist, welcher dann der Adressat der Anhörung nach § 102 BetrVG ist; dies wäre grundsätzlich der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer unter örtlichen Gesichtspunkten überwiegend seine Tätigkeit erbringe. Wiederum andere vertreten, dass in diesen Fällen der Gesamtbetriebsrat anzuhören sei, da die Kündigung ein "einheitlicher Akt" sei und das Arbeitsverhältnis insgesamt und nicht nur zu einem Betrieb gekündigt würde. Aus anwaltlicher Sicht sind alle diese Auffassungen bis zu einer höchstrichterlichen Klärung durch das BAG mit Vorsicht zu genießen, zumal dann, wenn die örtliche Anbindung vielleicht nicht der hauptsächlichen Eingliederung entspricht (beispielsweise „lose Anbindung an den örtlich überwiegenden Betrieb und erhebliche, die Tätigkeit wesentlich beeinflussende Anbindung an den ortsferneren Betrieb). Von daher ist in derlei Fällen aus Gründen anwaltlicher Vorsicht vorsorglich zur Anhörung aller infrage kommenden Betriebsratsgremien zu raten.