Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 533
Soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bestimmt der Betriebsrat mit über Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften. Die unter Rdn 532 genannten Sachverhalte zeigen, dass die Mitbestimmung des Betriebsrates nach Nr. 7 nahezu alle Bereiche des betrieblichen Lebens erfassen kann. Es wird ein "konturloses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates" befürchtet, wenn der Arbeitgeber bei allen Maßnahmen auf Grundlage einer arbeitsschutzrechtlichen Generalklausel auf die Zustimmung des Betriebsrates angewiesen sei.
Rz. 534
Die Besonderheit des Mitbestimmungstatbestandes zum Gesundheitsschutz besteht darin, dass er anders als die übrigen Nummern des Kataloges in § 87 Abs. 1 BetrVG neben dem Tarif- und Gesetzesvorbehalt des Eingangssatzes von § 87 Abs. 1 BetrVG eine weitere Einschränkung durch die Worte "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften" enthält. Anders als z.B. bei der Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) wird nicht jede Frage des betrieblichen Gesundheitsschutzes von dem Mitbestimmungstatbestand der Nr. 7 erfasst. Das Handlungsfeld des Betriebsrates im Gesundheitsschutz ist durch den Inhalt der jeweiligen Arbeitsschutzvorschrift im Hinblick auf Sachbereich, Inhalt und Niveau der zu treffenden Maßnahmen begrenzt. Die Grenzen der Mitbestimmung müssen aus den Rahmenregelungen abgeleitet werden.
Rz. 535
Der Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist durch die unionsrechtlich veranlasste Änderung der deutschen Gesetzgebung erweitert worden. Während § 120a GewO dem Arbeitgeber lediglich auferlegte, Gesundheitsgefahren im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu vermeiden, will das ArbSchG vom 7.8.1996 den innerbetrieblichen Arbeitsschutz durch eine konsequent präventive Ausrichtung auf der Grundlage eines breiten Arbeitsschutzverständnisses, das auch Aspekte wie die menschengerechte Gestaltung der Arbeit umfasst, verbessern.
Rz. 536
Der Begriff "Gesundheitsschutz" wird im BetrVG nicht gesondert definiert. Er stimmt mit demjenigen in § 1 Abs. 1 ArbSchG überein. Erfasst werden Maßnahmen, die dazu dienen, die psychische und physische Integrität des Arbeitnehmers zu erhalten, der arbeitsbedingten Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die zu medizinisch feststellbaren Verletzungen oder Erkrankungen führen oder führen können. Erfasst werden auch vorbeugende Maßnahmen.
Rz. 537
Seit dem Beschluss des BAG vom 28. März 2017 ist gesicherte Rechtsprechung, dass sich auch bei weitgefassten Generalklauseln Umfang und Grenzen der Mitbestimmungsrechte aus den auszufüllenden Rahmenvorschriften ergeben, soweit sie eine Handlungspflicht des Arbeitgebers begründen: § 3 Abs. 1 ArbSchG verlangt vom Arbeitgeber erforderliche Maßnahmen zum Ausschluss oder zur Minimierung von Gefährdungen. Wenn Gefährdungen feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt sind, sind angemessene und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Das Mitbestimmungsrecht setzt keine konkrete Gesundheitsgefahr voraus.
Rz. 538
Der Mitbestimmungstatbestand greift ein, wenn die auszufüllende Gesetzesvorschrift unmittelbar oder mittelbar dem Gesundheitsschutz dient. Dies ist von besonderer Bedeutung im Hinblick auf die Rahmenvorschriften zur Gefährdungsbeurteilung. Z.B. führt eine Gefährdungsbeurteilung nicht unmittelbar zur Beseitigung oder Minimierung von festgestellten Gefährdungen, ermöglicht aber eine passgenaue Entwicklung und Umsetzung entsprechender Maßnahmen.
Der § 167 Abs. 2 SGB IX zum betrieblichen Eingliederungsmanagement dient mittelbar dem Gesundheitsschutz. Bei der Ausgestaltung des Klärungsprozesses hat der Arbeitgeber einen Handlungsspielraum. Somit ist die Mitbestimmung des Betriebsrates für generelle Verfahrensregelungen eröffnet.
Rz. 539
Hinweis
Die Konturen des Mitbestimmungsrechtes aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG sind stets bezogen auf die auszufüllende gesetzliche Vorschrift zu bestimmen. Ihre Auslegung ergibt, auf welche Themen und auf welches Schutzniveau sich die Mitbestimmung erstreckt.