Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 194
Zur Arbeitszeit enthält § 87 Abs. 1 BetrVG zwei Mitbestimmungstatbestände. So erstreckt sich das Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist vom Mitbestimmungsrecht die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit erfasst. Nicht erfasst ist die generelle Festlegung der Dauer der Arbeitszeit. Hierzu fehlt dem Betriebsrat die Regelungskompetenz wegen Eingreifens des Tarifvorbehalts des § 77 Abs. 3 BetrVG (siehe hierzu auch Rdn 202). Zweck der Mitbestimmungstatbestände in § 87 BetrVG ist, dem Direktionsrecht des Arbeitgebers zum Schutz der Arbeitnehmer Schranken zu setzen, um auch den Interessen der Arbeitnehmer bei der Festlegung der Arbeitszeitlage und ihrer Freizeitinteressen zur Gestaltung des Privatlebens Geltung zu verschaffen.
Rz. 195
Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ist nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts zu definieren. Der Begriff ist nicht deckungsgleich mit dem der vergütungspflichtigen Arbeitszeit, dem des Arbeitszeitgesetzes bzw. dem der Arbeitszeitrichtlinie. "Arbeitszeit" im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist die Zeit, während derer der Mitarbeiter die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang tarif- oder einzelvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen soll; Arbeit sei die Zeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene. Zu ihr gehören auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft, des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft (siehe hierzu Rdn 204). Zeiten, in denen der Mitarbeiter außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit auf Anordnung seines Arbeitgebers mobil erreichbar ist, sind jedenfalls dann als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu werten, wenn der Mitarbeiter tatsächlich zwecks Arbeitserbringung tätig wird (d.h. z.B. Telefonate führt oder Emails mobil bearbeitet) und dieses Tätigwerden nicht bloß in jeder Hinsicht geringfügig ist.
Rz. 196
Ob Reise- oder Dienstreisezeiten unter diesen Arbeitszeitbegriff (im arbeitszeitrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Sinne) fallen, ist differenziert zu betrachten. Für Reisezeiten der Außendienstmitarbeiter, Zugbegleiter, Reiseleiter gilt, dass diese Teil der vertraglich geschuldeten Leistung ist, denn andernfalls könnten sie ihre Arbeitsvertragspflichten nicht erfüllen. Entsprechend sieht die Rechtsprechung auch die Reisezeit des Außendienstmitarbeiters (z.B. vom Homeoffice) zum ersten Kundenbesuch ebenso als Arbeitszeit an, wie die Zeit der Rückreise vom letzten Kundenbesuch. Eindeutig der Arbeitszeit (im arbeitszeitrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Sinne) zuzuordnen sind auch Reisezeiten, die der Mitarbeiter zur Erbringung konkreter Aufgabenerfüllung aus seinem Arbeitsverhältnis nutzt (wie das Führen von Kundentelefonaten, Aktenstudium etc.). Ebenso werden Reisezeiten – unter Verweis auf die Beanspruchungstheorie – der Arbeitszeit zugeordnet, die der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers in Dienstwagen selber fahrend aufwendet. Zunehmend wird man aber nicht mehr (nur) auf die Beanspruchung des Mitarbeiters während der Dienstreise abstellen können. Vielmehr wird auch die europarechtliche Bewertung der Arbeitszeit nach dem Maß der Einschränkung der Arbeitnehmer in ihren persönlichen und sozialen Interessen im Rahmen der Zeitgestaltung bei der Bewertung zu berücksichtigen sein, ob die im Interesse der Aufgabenerfüllung auf Dienstreisen aufgewendete Zeit als Arbeitszeit zu bewerten ist. Kann der Arbeitnehmer seine Reisezeit frei gestalten und muss er insbesondere nicht damit rechnen, vom Arbeitgeber zur Arbeitsleistung in Anspruch genommen zu werden, spricht vieles dafür, diese Zeit weiterhin nicht der Arbeitszeit im betriebsverfassungs- und arbeitszeitrechtlichen Sinne zuzuordnen, sondern sie (auch europarechtlich) als Ruhezeit zu werten. Mitbestimmungspflichtige (Dienst)Reisezeiten liegen also vor, wenn die Fahrt an einen Ort außerhalb der regulären Arbeitsstätte erfolgt, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringen soll, und der Mitarbeiter auch während der Reisezeit Arbeitsleistungen erbringt oder jedenfalls damit rechnen muss, weiterhin dem Direktionsrecht des Arbeitgebers zu unterliegen.
Die Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG erfassen also auch solche Reise- bzw. Dienstreisezeiten. Hiervon losgelöst ist die Frage zu entscheiden, ob solche Reisezeiten zu vergüten sind. Nach der Rechtsprechung sind bei der Entsendung eines Arbeitnehmers zur vorübergehenden Arbeit ins Ausland auch die für die Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.
Rz. 197
Hingegen stellt der zeitliche Aufwand für das selbstbestimmte Zurücklegen des Weges zwischen einem selbst gewählten Aufenthaltsort des Arbeitnehmers zur Arbeitsstelle keine...