Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 991
Auch die Beteiligung des Betriebsrats i.R.v. Massenentlassungen gem. § 17 Abs. 2 KSchG muss grds. gesondert erfolgen. Immer dann, wenn der Arbeitgeber in einem Betrieb mit mehr als 20 Arbeitnehmern mehr als die in § 17 Abs. 1 KSchG angegebene und nach Betriebsgröße gestaffelte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt, muss der Arbeitgeber zusätzlich ein Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat und ein Anzeigeverfahren bei der zuständigen Arbeitsagentur durchführen. Dabei handelt es sich um ein zweistufiges Verfahren, das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG steht selbstständig neben dem Anzeigeverfahren bei der Arbeitsagentur nach § 17 Abs. 3 KSchG und ist mit diesem "verschränkt". Aus beiden Verfahren können sich jeweils eigene Unwirksamkeitsgründe für die betriebsbedingten Kündigungen ergeben. Insofern ist größte Sorgfalt anzulegen.
Der Arbeitgeber kann zwar das Interessenausgleichsverfahren nach § 111 ff. BetrVG mit dem Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG verbinden und die Informations- und Beratungspflichten gleichzeitig erfüllen, soweit sie identisch sind. Er muss in diesem Fall aber hinreichend klarstellen, dass und welchen Pflichten er zeitgleich nachkommen will. Die Einleitung des Konsultationsverfahrens erfordert zumindest, dass dem Betriebsrat die Absicht des Arbeitgebers, Massenentlassungen vorzunehmen, erkennbar ist. Wird dem Betriebsrat dies nicht erkennbar und wird das Konsultationsverfahren deshalb nicht durchgeführt, sind Kündigungen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB unwirksam.
Das Konsultationsverfahren sollte deshalb dadurch eingeleitete werden, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat schriftlich gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG unterrichtet, und zwar über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der i.d.R. beschäftigten und der zu entlassenden Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Diese Informationen sind nicht deckungsgleich mit den Informationen, die der Arbeitgeber üblicherweise im Rahmen des Interessenausgleichsverfahrens gibt, da bei § 17 KSchG personenscharfe (individualisierte) Informationen gefordert sind. Zudem müssen sich die Informationen bei der Massenentlassung auf die Arbeitnehmer des jeweiligen "Betriebs" im Sinne der europäischen Massenentlassungsrichtlinie beziehen, wobei dieser Begriff nicht deckungsgleich mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ist. Die Arbeitsagentur muss eine Abschrift der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats vom Arbeitgeber erhalten (§ 17 Abs. 3 S. 1 KSchG). Im Anschluss an die Information ist die Massenentlassung mit dem Betriebsrat zu beraten. Vor Folgekündigungen ist dieses Konsultationsverfahren noch einmal durchzuführen, wenn erneut ein Massenentlassungstatbestand vorliegt und noch eine beteiligungsfähige Arbeitnehmervertretung besteht. Der Betriebsrat soll am Ende des Konsultationsverfahrens eine Stellungnahme zu den Entlassungen abgeben, die der Massenentlassungsanzeige beizufügen ist (§ 17 Abs. 3 S. 2 KSchG). Wenn sie die Zweiwochenfrist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG abkürzen soll, muss sie erkennen lassen, dass der Betriebsrat sich für ausreichend unterrichtet hält, keine (weiteren) Vorschläge unterbreiten kann oder will und die Zweiwochenfrist nicht ausschöpfen will. Fehler bei der Unterrichtung des Betriebsrats (z.B. eine unterbliebene Unterrichtung über die Berufsgruppen oder evtl. Schriftformverstöße) können durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats geheilt werden, der zu entnehmen ist, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht.
Rz. 992
Der Interessenausgleich ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach dem Gesetzeswortlaut eigentlich nicht. Nur wenn die aufgrund der Betriebsänderung zu kündigenden Arbeitnehmer in einer Namensliste aufgeführt sind, gilt der Interessenausgleich gleichzeitig als Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG (vgl. § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG). Es bedarf in diesem Fall deshalb keiner gesonderten Stellungnahme des Betriebsrats zu den geplanten Entlassungen mehr. Das BAG hat jedoch erfreulich praxisnah entschieden: Auch wenn es sich um einen Interessenausgleich ohne Namensliste handelt, genügt dieser als Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, wenn sich hieraus eindeutig ergibt, dass die Kündigungen auch nach Auffassung des Betriebsrats unvermeidbar sind.
Rz. 993
An das Konsultationsverfahren schließt sich das Anzeigeverfahren an: Der Arbeitgeber muss eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur erstatten und dem Betriebsrat eine Abschrift davon zuleiten (§ 17 Abs. 3 S. 6 KSchG),