Dr. Gero Dietrich, Dr. Angela Emmert
Rz. 461
Ob und nach welcher Norm der Betriebsrat bei der Einführung von Ethikrichtlinien mitzubestimmen hat, ist im Hinblick auf jede einzelne Regelung gesondert zu beurteilen. Einschlägig ist regelmäßig § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Erfasst ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer in Abgrenzung zum Arbeitsverhalten, also solchen Vorgaben, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird. Soweit eine Ethikrichtlinie das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betrifft, setzt das Mitbestimmungsrecht dabei nicht voraus, dass sie verbindliche Verhaltensregeln aufstellt. Ausreichend ist, dass eine Regelung darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb zu steuern bzw. die Ordnung im Betrieb zu gewährleisten.
Rz. 462
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist einschlägig, soweit Regelungen einer Ethikrichtlinie den Einsatz technischer Mittel vorsehen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Mitbestimmungspflichtig sind daher insbesondere Regelungen, welche die Kontrolle von E-Mails, Datenbanken oder Festplatten der Mitarbeiter erlauben. Als weiteres Mitbestimmungsrecht kommt § 94 BetrVG in Betracht, wenn Ethikrichtlinien bestimmte Arbeitnehmergruppen in Gestalt eines Personalfragebogens zur Auskunft auffordern. § 95 BetrVG ist einschlägig, wenn eine Ethikrichtlinie Vorgaben zur Einstellung von Mitarbeitern macht.
Rz. 463
Kein Mitbestimmungsrecht besteht, wenn lediglich die Unternehmensphilosophie – also allgemeine ethisch-moralische Programmsätze oder Zielvorgaben – dargestellt bzw. Selbstverpflichtungen des Unternehmens benannt werden, die jeweils keine konkreten Verhaltensanforderungen der Mitarbeiter begründen. Auch soweit Ethikrichtlinien nur gesetzliche Bestimmungen wiederholen (etwa Verbot von Insiderhandel, Diskriminierungs- oder Korruptionsverbote), ohne diese inhaltlich zu erweitern, sind sie mitbestimmungsfrei. Dies gilt jedoch nicht für ausländische Gesetze.
Rz. 464
Exkurs
US-börsennotierte Unternehmen sind aufgrund von Sec. 406 des sog. "Sarbanes Oxley Act" aus dem Jahr 2002 verpflichtet, einen "Code of Ethics" einzuführen. Da US-amerikanische Gerichte die Vorschriften des Sarbanes Oxley Acts auch auf nicht börsennotierte Tochtergesellschaften von US-börsennotierten Unternehmen anwenden, stellen US-Konzerne häufig konzernweit verbindliche Compliance-Vorgaben auf. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates sind bei der Einführung in deutschen Gesellschaften ungeachtet der Vorgaben einer im Ausland ansässigen Konzerngesellschaft zu beachten.
Rz. 465
Praxistipp
Aus Gründen der Vereinheitlichung enthalten Betriebsvereinbarungen zu Ethikrichtlinien regelmäßig auch nicht-mitbestimmungspflichtige Regelungsgegenstände. Diese können dann nicht mehr durch Ausübung des Direktionsrechts anderweitig geregelt werden. Der Arbeitgeber muss die Betriebsvereinbarung ggf. kündigen und anschließend die mitbestimmungsfreien Regelungsgegenstände direktionsrechtlich adressieren oder arbeitsvertraglich regeln. Um dies zu vermeiden, wird teilweise eine strikte Trennung zwischen mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Inhalten empfohlen, die allerdings eine umfassende Analyse der Reichweite der Mitbestimmungspflichten und eine sorgfältigen Abgrenzung voraussetzt und damit keine einheitliche Reglung ermöglicht.