Rz. 48

Die betriebliche Ordnung, die durch § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung unterworfen wird, umfasst nur allgemeingültige, für die Arbeitnehmer oder für Gruppen von ihnen verbindliche Verhaltensregeln zur Sicherung des ungestörten Arbeitsablaufs und des reibungslosen Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb.[1] Sofern das Verhalten der Arbeitnehmer angesprochen ist, wird es nur erfasst, soweit es sich auf die betriebliche Ordnung bezieht.[2] Dem Betriebsrat soll die Teilhabe an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens ermöglicht werden.

 

Rz. 49

Das BAG unterscheidet dieses sogenannte Ordnungsverhalten vom nicht mitbestimmten Arbeitsverhalten. Negatives Tatbestandsmerkmal der Norm ist daher, dass die Angelegenheit nicht das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betreffen darf.[3] Beim Arbeitsverhalten geht es um Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht des Mitarbeiters unmittelbar konkretisiert wird, die sich damit unmittelbar auf die Ausführung der Arbeit bezieht. Darunter fallen arbeitstechnische Anordnungen hinsichtlich Gegenstand, Ort, Zeit, Reihenfolge und Art und Weise der Arbeit aber auch auf die Arbeitspflicht bezogene Führungsrichtlinien, die regeln, in welcher Weise Mitarbeiter allgemein ihre Arbeitsaufgaben bzw. Führungskräfte ihre Führungsaufgaben zu erledigen haben. In die gleiche Kategorie (mitbestimmungsfrei) fallen des Weiteren Organisations- und Vertretungsregelungen, auch der Erlass einer Dienstreiseordnung.[4] Mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten ist darüber hinaus von Weisungen im Einzelfall zu unterscheiden, die der Arbeitgeber stets mitbestimmungsfrei geben kann.

 

Rz. 49a

Die Frage, ob Ethikrichtlinien der Mitbestimmung unterfallen, lässt sich nicht pauschal beantworten, da der Regelungsinhalt derartiger Richtlinien sehr unterschiedlich sein kann und eine differenzierende Betrachtung angebracht ist.

 

Rz. 49b

Die einzelnen Regelungsgegenstände einer Ethikrichtlinie sind für sich genommen jeweils auf ihre Mitbestimmungspflicht zu überprüfen. Eine Mitbestimmungspflicht einzelner Regelungen begründet nicht notwendig die Mitbestimmungspflicht für die gesamte Richtlinie. Ein Mitbestimmungsrecht besteht dann nicht, wenn die einzelne Regelung lediglich eine Konkretisierung der Arbeitsleistung darstellt bzw. nur gesetzlich geregelte Anforderungen wiederholt werden.[5] Das BAG hält eine sog. Whistleblower-Regelung, nach der die Mitarbeiter verpflichtet werden, Interessenkonflikte schriftlich zu melden, für mitbestimmungspflichtig. Enthält eine Richtlinie eine derartige Regelung entfaltet auch sie jedoch keine materielle Klammerwirkung. Nach dieser Rechtsprechung ist es nicht erforderlich für die Whistleblower-Regelung eine separate Betriebsvereinbarung abzuschließen.

 

Rz. 50

Die Entscheidung, ob es sich um mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten oder um mitbestimmungsfreies Arbeitsverhalten handelt, ist nach dem "objektiven Regelungszweck", der sich nach dem Inhalt der Maßnahme und der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens bestimmt.[6] Dabei kommt es nach dem BAG nicht darauf an, welche subjektiven Vorstellungen den Arbeitgeber zu der Maßnahme bewogen haben, sondern welcher Regelungszweck überwiegt. Auch wenn ein Randbereich des Arbeitsverhaltens berührt sei, mache das eine im Kern das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme nicht mitbestimmungsfrei.

Wirkt sich die arbeitgeberseitige Maßnahme sowohl auf das Arbeits- als auch das Ordnungsverhalten aus, ist der überwiegende Regelungszweck für die Einordnung maßgebend.[7] Dieser richtet sich nach dem objektiven Inhalt der Maßnahme sowie der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens. Dabei ist eine – qualitative – Gewichtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers kommt es insoweit nicht an.

 
Praxis-Beispiel

Das Verbot, Smartphones während der Arbeit zu benutzen, zielt darauf ab, dass die Arbeitnehmer ihre Arbeit zügig und konzentriert ausführen und nicht durch die Nutzung eines "Handys" abgelenkt werden. Daher ist ein entsprechendes Verbot mitbestimmungsfrei, weil es im Wesentlichen die Arbeitsleistung und damit das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betrifft.[8] Eine vergleichbare Abgrenzungsfrage stellt sich auch bei einem Rauchverbot, Cannabisverbot oder einem Alkoholverbot. Soweit das Verbot schwerpunktmäßig die ordnungsgemäße Arbeitsleistung sicherstellen soll – was insbesondere bei dem Verbot des Genusses von Rauschmitteln naheliegt – ist das entsprechende Verbot mitbestimmungsfrei.

 

Rz. 51

Zur betrieblichen Ordnung zählen auch Maßnahmen, die deren Einhaltung nur flankieren, etwa besondere Anreize zur Einhaltung der Ordnung oder Überwachungsregelungen, soweit es bei Letzterem tatsächlich um die Ordnung des Betriebs handelt. Gegenbeispiel: Werden beispielsweise Privatdetektive zur Überwachung des Arbeitsverhaltens einzelner Arbeitnehmer engagiert, ist die Mitbestimmungspflichtigkeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ...

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