Dr. Detlef Grimm, Dr. Stefan Freh
Rz. 184
Der Gesetzgeber hat zu den sozialen Angelegenheiten keine Regelung für vorläufige Maßnahmen aufgenommen, wie etwa in § 100 BetrVG für die personellen Maßnahmen. Die Rechtsprechung sieht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats selbst in sog. Eilfällen, in denen eine Regelung umgehend getroffen werden muss, nicht eingeschränkt. Auch bei einem plötzlichen Bedarf der Anordnung von Überstunden wegen eines unerwartet und eilig zu erledigenden Auftrags oder eines Maschinenausfalls, Dienstplananpassungen in Krisensituationen sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats einzuhalten. Um das Mitbestimmungsrecht zu wahren, ist der Arbeitgeber auf eine sofortige Einigung mit dem Betriebsrat angewiesen – dies gilt etwa auch dann, wenn der Weg über die Einigungsstelle bereits faktisch (aufgrund Zeitablaufs) keine Lösung bietet. Gelingt eine solche Einigung nicht, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, vorläufig einseitige Anordnungen zu treffen. Dies gibt dem Betriebsrat nicht selten die Möglichkeit, die Zustimmungserteilung z.B. zur Anordnung von erforderlichen Überstunden oder die Dienstplangestaltung von (nicht mitbestimmungspflichtigen) Zugeständnissen des Arbeitgebers an anderer Stelle abhängig zu machen, sog. "Koppelungsgeschäfte" (siehe hierzu Rdn 188 ff.).
Rz. 185
Hinweis
In generell vorhersehbaren Konstellationen (etwa der zeitweise wiederkehrenden Notwendigkeit der kurzfristigen Anordnung von Überstunden/der regelmäßigen Dienstplangestaltung/IT-Aktualisierungen) lässt sich die drohende Bedrängnis des Arbeitgebers durch den Abschluss von Rahmenbetriebsvereinbarungen vermeiden, die es dem Arbeitgeber gestatten, unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall z.B. Mehrarbeit anzuordnen. Eine derartige Handhabung ist zulässig.
Rz. 186
Nach überwiegender Ansicht kommt eine einstweilige Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit durch einstweilige Verfügung nicht in Betracht, da die Arbeitsgerichte nicht für betriebsverfassungsrechtliche Regelungsstreitigkeiten zuständig sind, sondern für die Sicherstellung korrekter Rechtsanwendung (zum einstweiligen Rechtsschutz, Antrag auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers vgl. § 3 Rdn 670 ff.).
Rz. 187
Anders als in Eilfällen entfallen die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG dagegen in sog. Notfällen. Hierunter ist eine plötzliche, nicht voraussehbare und schwerwiegende Situation zu verstehen, die zur Verhinderung nicht wiedergutzumachender Schäden zu unaufschiebbaren Maßnahmen zwingt; es muss eine Extremsituation vorliegen (z.B. Brände, Überschwemmungen oder ähnliche Katastrophen). Hier folgt bereits aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit das Recht des Arbeitgebers, in einer derartigen Notsituation, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden eine Maßnahme durchzuführen, sofern er unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachholt.